Selbsthilferatgeber

Der Selbsthilferatgeber hat den Zweck Erfahrungen weiterzugeben, die im praktischen Leben eines Autisten wissenswert im Sinne von Enthinderung und (leider meist nur) Nachteilsausgleichen sein können.

Behindert?

Dem Begriff der Behinderung hängt in unserer Leistungs- und Spaßgesellschaft ein mehr oder weniger schwerer Makel an. Deswegen gibt es oft Anlaß zu Spott, wenn ein Autist sich selbst vehement als gesunden Teil der Normalität sieht, aber andererseits beim Versorgungsamt einen Schwerbehindertenausweis beantragt und sich bei Gelegenheit auf das Verbot der Benachteiligung Behinderter nach Art.3 GG beruft. Normal und behindert, das passt doch nicht zusammen! Oder doch?

Anders zu sein als die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung kann vielerlei Probleme mit sich bringen. So kommt es beispielsweise, daß Menschen, die ohne jede körperliche Andersproportionierung zwischen 120 und 130cm groß sind, schlicht nur wegen ihrer Größe laut AHP mit einem Grad der Behinderung von 50 einzustufen sind. Die Behinderung dieser Person besteht unter anderem darin an hohe Regalfächer und Hängeschränke nicht ohne Hilfsmittel zu gelangen.

Eine Gauss´sche Normalverteilung besteht unter anderem aus ihren Enden. Das Gleiche gilt für die Normalität an sich. Der Begriff der Behinderung ist, wie Definitionen von Krankheit, ein kulturelles Konstrukt. Was schmerzen kann, ist aufgrund von Schwächen schlecht behandelt zu werden und das ist mit oder ohne solche Begriffe ein nie endendes Thema, solange es Menschen gibt, die sich durch Abwertung anderer aufzuwerten wähnen, sei es durch direkte Beleidigungen oder durch entmündigende “Hilfe”.

Eine vertiefende Aufsatzsammlung zum Thema findet sich hier.

Barrierefreie Kommunikation

Auch Autisten haben Rechte, die Kommunikation in manchen Bereichen erleichtern sollen. Im Folgenden betrifft dies den Anspruch auf “andere geeignete Kommunikationshilfen” wie es der Gesetzgeber unten nennt, wenn auch in der KHV §3 nur gestütze Kommunikation bei “autistischen Störungen” explizit aufgeführt wird, für welche die Kosten vom Amt übernommen werden. Es ist jedoch folgerichtig, daß es dadurch auch einen Anspruch auf schriftliche Kommunikation von zuhause aus gibt (Email, Chat, Brief), die in ihrer Antwortgeschwindigkeit der Behörde im Sinne der Barrierefreiheit einen möglichst geeigneten Ersatz für mündliche Kommunikation darstellen sollte.

Dies gilt besonders dann, wenn für einen Autisten der Kontakt vor Ort wegen Reizüberflutung eine Überlastung wäre, die unnötiges Leid, eingeschränkte Handlungsfähigkeit, etc. verursachen und so eine Kommunikationsbarriere darstellen würde, die den Autisten hindert seine Interessen bestmöglich wahrzunehmen. Dies muß gegebenenfalls erklärt werden, um plausibel zu machen, weswegen eine menschenwürdige Kommunikation ggf. nur von zuhause aus erfolgen kann, statt wie in anderen Fällen durch einen Dolmetscher oder durch schriftliche Kommunikation vor Ort. Erfahrungen zu dieser Thematik können gerne an die ganz oben genannte Kontaktadresse mitgeteilt werden.

Eine neuere UN-Studie hält inzwischen fest:

Zitat:
32. Submissions referred to a wide range of other community support services, often so-called centres for independent living. The support provided in such cases is geared towards information and advice, self and peer support, protection of rights and interests, shelters, housing services, training for independent living, supported decision-making and personal assistance. States mentioned transportation and communication support, such as the provision of a sign language interpreter. Community support in the form of professionalized assessments of individual needs or family crisis services, such as mediation and support in cases of violence, has been directed to families. Here, the concept of community should not be necessarily limited to a geographic and physical location: some persons with autism have found that support provided online may be more effective, in certain cases, than support received in person.

Quelle: Thematic study on the right of persons with disabilities to live independently and be included in the community; 2014

Hier wird ausdrücklich festgestellt, daß im Fall von Autisten die kulturell bedingte Online-Kommunikation eine Form von "Community" im Sinne der Menschenrechte (z.B. CRPD, Art. 19 – Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) ist.

Rechtliche Grundlagen für Deutschland:

Zitat:
“BGG § 9 Recht auf Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen

  1. Hör- oder sprachbehinderte Menschen haben nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach Absatz 2 das Recht, mit Trägern öffentlicher Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 [Dieser lautet: “Die Dienststellen und sonstigen Einrichtungen der Bundesverwaltung, einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sollen im Rahmen ihres jeweiligen Aufgabenbereichs die in § 1 genannten Ziele aktiv fördern und bei der Planung von Maßnahmen beachten.” Satz 2 schließt auch die entsprechende Landesebene ein, sofern diese Bundesrecht ausführt.] in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren erforderlich ist. Die Träger öffentlicher Gewalt haben dafür auf Wunsch der Berechtigten im notwendigen Umfang die Übersetzung durch Gebärdensprachdolmetscher oder die Verständigung mit anderen geeigneten Kommunikationshilfen sicherzustellen und die notwendigen Aufwendungen zu tragen.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/bgg/__9.html

Bezüglich der Kommunikationshilfen besteht ein Wahlrecht:

Zitat:
“KHV § 2 Umfang des Anspruchs

  1. Der Anspruch auf Bereitstellung einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers für die Deutsche Gebärdensprache oder für lautsprachbegleitende Gebärden (Gebärdensprachdolmetscher) oder einer anderen geeigneten Kommunikationshilfe besteht, soweit eine solche Kommunikationshilfe zur Wahrnehmung eigener Rechte in einem Verwaltungsverfahren erforderlich ist, in dem dafür notwendigen Umfang. Der notwendige Umfang bestimmt sich insbesondere nach dem individuellen Bedarf der Berechtigten.
  2. Die Berechtigten haben nach Maßgabe des Absatzes 1 ein Wahlrecht hinsichtlich der zu benutzenden Kommunikationshilfe. Dies umfasst auch das Recht, einen Gebärdensprachdolmetscher oder eine andere geeignete Kommunikationshilfe selbst bereitzustellen. Die Berechtigten haben der Behörde rechtzeitig mitzuteilen, inwieweit sie von ihrem Wahlrecht nach Satz 1 und 2 Gebrauch machen. Die Behörde kann den ausgewählten Gebärdensprachdolmetscher oder die ausgewählte andere Kommunikationshilfe zurückweisen, wenn sie ungeeignet sind oder in sonstiger Weise den Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht entsprechen. Die Hör- oder Sprachbehinderung sowie die Wahlentscheidung nach Satz 1 sind aktenkundig zu machen und im weiteren Verwaltungsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/khv/__2.html

Landes- und kommunalrechtlich dürfte man in der Praxis ähnliche Regelungen wenigstens aus Kulanz erwarten dürfen, da nach Art.3 GG Behinderte nicht benachteiligt werden dürfen. Ein weiterführender Link zur Landesebene: http://de.wikipedia.org/wiki/Landesgleichstellungsgesetz, sowie ein Link zu einer Übersichtssammlung über Bundesrecht und Landesrecht: http://www.einfach-fuer-alle.de/artikel/bitv/bgg/

In der Praxis eventuell hilfreich: Infoblatt 10: Zur Notwendigkeit barrierefreier Kommunikation

ESH-Musterattest zur Einforderung barrierefreier Kommunikation

Sprachlich geglätteter Mustertext, bewährt durch die Entscheidung BSG B9SB5/13B (Link zur ESH-Meldung):

Zitat:
Ärztliches Attest

[Personendaten des Autisten]

Aufgrund der hier festgestellten Behinderung ist der Obengenannte als dauerhaft verhandlungsunfähig im Bezug auf mündliche Verhandlungen bei Gericht, in Behörden, etc. zu betrachten. Seine persönlichen Eigenschaften, die im Rahmen der Behinderung ausschlaggebend sind, sind auch nicht veränderbar und werden sein Leben lang bestehen bleiben. Bei dieser Art von Behinderung ist es allerdings möglich, Barrierefreiheit herzustellen, indem Befragungen auf fernschriftlichem Weg, z.B. Telefax, E-Mail, Brief, vorgenommen werden.

Aufgrund dieser Behinderung können die betreffenden Personen in bestimmten Situationen, wie sie eine mündliche Verhandlung vor Gericht darstellt, nicht in adäquater Weise ihre eigenen Interessen vertreten, sie können sich nicht in geeigneter Weise ausreichend Gehör verschaffen, da in dieser Art der Vortrag nicht möglich ist. Außerdem können solche Situationen aufgrund der Reizüberflutung zu Störungen in der Reizverarbeitung einschließlich psychischen Schmerzen führen.

Insbesondere das Eingehen durch erneutes Nachfragen, Umformulieren von Fragen, Pausen einschieben, führt häufig zu dem Gegenteil des Erwünschten. Solche Situationen sind insgesamt für derart Behinderte unzumutbar. Sollte die betreffende Person ausnahmsweise in ihrem eigenen Ermessen, einen solchen Termin aufgrund der eigenen Einschätzung ihrer aktuellen Verfasstheit und der sonstigen Faktoren der jeweiligen Situation freiwillig wahrnehmen wollen, darf dies nicht verallgemeinernd, als Widerlegung der hier enthaltenen Feststellung gewertet werden.

Abschließend ist zu sagen, daß diese allgemeinen Feststellungen lebenslang gelten werden.

Notruf per Fax

Die Situation in Deutschland:

Formulare und Informationen zu regional gültigen Nummern für Fax- und SMS-Notrufe an Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst gibt es hier (ausdrucken, bereitlegen und die jeweiligen regionalen Faxnummern aufschreiben, bis es endlich einen deutschlandweiten zentralen Faxnotruf gibt): http://www.notfall-telefax112.de

Ebenfalls dort eingerichtete SMS-Notrufe werden in der Regel auf Notlagen beschränkt, die Leib und Leben gefährden. Für sonstige Notrufe wird allgemein auf den Faxnotruf verwiesen und dort geht man allgemein auch kulant mit sonstigen Notlagen um wie z.B. einem Wasserrohrbruch eines Versorgers der selbst keinen barrierefreien Notruf anbietet.

Die Privatwirtschaft hat mit dem Sperr e.V. eine staatlich iniziierte eigene bundesweit einheitliche Faxnotrufnummer für Sperrungen von Bankkarten oder Mobilfunktelefonen. Auch dort werden Vordrucke zum herunterladen angeboten:

Zitat:
Zur Einbindung von sprach- und hörgeschädigten Menschen in das neue Sicherheitssystem ist die Sperrvermittlung auch per Fax zu erreichen, da dieser Personenkreis in der Regel kein herkömmliches Telefon zur Sperrung benutzen kann. Die Faxnummer lautet ebenfalls 116 116.

Quelle: http://www.sperr-notruf.de

Die neuere deutsche Rechtsprechung zur rechtlichen Einsetzbarkeit von Emails

Seit einigen Jahren zeichnet sich eine zunehmende Akzeptanz von Emails auch in Bezug auf besondere Formerfordernisse, z.B. einer fristwahrenden Klageerhebung hin. Es empfiehlt sich jedoch wohl derzeit noch nicht ohne Not nur auf Emails zurückzugreifen, das Fax (als gewissermaßen günstigste Form des Einschreibens) ist insofern weiterhin der sichere und unproblematische Weg. Interessant ist diese Frage jedoch, wenn z.B. ein Widerspruch abgelehnt wurde, weil man diesen nur per Email eingereicht habe und das der Form nicht genüge. Dazu sei aus dem unten verlinkten Artikel zitiert:

Zitat:
Die in diesem Fall am Maßstab des § 64 Abs. 1 FGO zu messenden formalen Voraussetzungen sind nach Auffassung des Finanzgerichts ebenfalls gewahrt. Denn die Klageerhebung per E-Mail dürfte nicht per se einen Verstoß gegen das Schriftformerfordernis darstellen. Gem. § 64 Abs. 1 FGO ist die Klage schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben. Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist.

Wird die Klage daher schriftlich erhoben, bedarf es nach wohl noch herrschender, aber zunehmend zweifelhafter werdender Ansicht im Regelfall einer eigenhändigen Unterschrift. Dieser Regelfall wird freilich von einer unüberschaubaren Fülle von Ausnahmen durchbrochen. Von dem Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift sieht die Rechtsprechung etwa dann ab, wenn der Schriftsatz durch moderne Medien übermittelt wird, bei denen eine eigenhändige Unterschrift nicht möglich ist, und wenn sich aus dem Schriftsatz in Verbindung mit den ihn begleitenden Umständen keine Zweifel über den Aussteller und seinen Willen ergeben, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen.

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Schriftlichkeit des Dokumentes ist gewahrt. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei einer eMail – jedenfalls zunächst – nur um eine Folge nicht lesbarer elektrischer Impulse handeln mag. Vorliegend ist es zu einem “Medienbruch” gekommen, weil die eMail beim FG ausgedruckt wurde. Nach Auffassung des Finanzgerichts ist daher für die Frage der Wirksamkeit der Klageerhebung von diesem Moment an auf den körperlichen Ausdruck der eMail abzustellen. Hiervon ausgehend ist dann aber kein Grund dafür ersichtlich, warum man den Ausdruck im Streitfall anders als etwa ein Computerfax behandeln sollte. Bei Computerfaxen handelt es sich um Schriftsätze, die, ohne vorher ausgedruckt worden zu sein, unmittelbar vom Computer aus versandt werden und beim Empfänger wie Faxe ausgedruckt werden können. Nichts anderes gilt vorliegend aber auch für die Klageerhebung via E-Mail. Denn das Finanzgericht hat mit seiner elektronischen Poststelle eine Empfangsstation zur Verfügung gestellt, die zur Transformation der eMails in körperliche Dokumente bestimmt ist. Eine eMail an eine solche elektronische Poststelle ist daher – ebenso wie ein Computerfax – von vornherein zum Ausdruck bestimmt. Wenn das VG Neustadt im Übrigen einen entscheidenden Unterschied zwischen Computerfax und E-Mail darin sieht, dass es bei letzterer zur Umwandlung in lesbare Zeichen einer aktiven Mitwirkung des Empfängers bedürfe, erscheint diese Unterscheidung gekünstelt. In beiden Fällen bedarf es einer Umwandlung von elektronischen Signalen in Papierform. In beiden Fällen kann es aber auch bei einem elektronischen Dokument bleiben, da auch ein Computerfax nicht zwingend in einen körperlichen Ausdruck münden muss, sondern auch in Dateiform aufgezeichnet werden kann. Hierauf hat der Absender keinen Einfluss.


Quelle: http://www.rechtslupe.de/steuerrecht/klageerhebung-per-email-312777

Bildung

Bildungsgänge sind oft einseitig auf die Bedürfnisse von Nichtautisten zugeschnitten. Situationen in Bildungseinrichtungen sind oft nicht nur extrem barrierehaltig, sondern auch darüber hinaus ernsthaft gesundheitsgefährend. Deswegen ist es wichtig, Wege barrierearmer Bildung zu finden und gegen Diskriminierungen in Massenverfahren entschieden anzugehen.

(Zu Unterseiten z.B. rechts übers Menü)

Schulabschlüsse

Regelschulen sind heute noch meist ausschließlich gestaltet nach dem Bedürfnis durchschnittlicher Nichtautisten physisch beieinander anwesend zu sein. Diese fühlen sich dabei meist wohl. Auf Autisten trifft das aber oft ganz und gar nicht zu. Sie bevorzugen fernschriftliche Gemeinschaft, die hinsichtlich der Reizbelastung eine weitaus bessere Konzentration ermöglicht.

Ein neu entstehender Lösungsweg ist das Konzept der Online-Beschulung: Link zur Online-Schule Hierbei wird nach Möglichkeit ein barrierefreier Zugang zu einer ganz normalen Schulklasse via Internet geschaffen und darüber hinaus Gemeinschaftsaktivitäten aller Online-Schüler. Ist dieser Weg in einem Bundesland nicht möglich oder wird er von Behörden verzögert kann es ratsam sein, dem Kind bis zur Beendigung der Schulpflicht offensiv zu vermitteln, daß diese Zeit im Grunde egal ist und es sich auf die, nach dem Ende der noch durch die vorhandenen Barrieren kontraproduktiven Schulpflicht, Erlangung von Schulabschlüssen in Eigenregie konzentrieren sollte durch Erholung und gezielte Vorbereitung. Es geht schließlich nicht darum "die Schule" glücklich zu machen, sondern für die jeweiligen Autisten einen angemessenen Bildungsstand zu erreichen. Dieser ist besonders auch deswegen wichtig, da Autisten beruflich oft besonders gut mit geistigen höherqualifizierten Ausbildungen, Studienabschlüssen ihren Weg gehen können. Die Versuche des regulären Bildungssystems für Autisten gehen daran oft völlig vorbei.

Für Schüler, die mit der achten Klasse bereits die gesetzliche Schulpflicht absolviert haben stehen auch weitere Möglichkeiten offen, als ein Beispiel sei der Telekolleg genannt. Ebenso gibt es anerkannte Privatinstitute, die Fernlehrgänge zur Erreichung von Schulabschlüssen anbieten. Es ist dabei oft möglich z.B. Realschulabschlüsse anzustreben ohne einen Hauptschulabschluß zu besitzen. Bei manchen Angeboten sind auch Anteile von Präsenzunterrichtvorgesehen, dies ist nach individuellen Anforderungen zu berücksichtigen. Im Vorfeld sollte geklärt werden, wie und wo das Ablegen der Prüfungen möglich wäre. Die Kosten variieren und können von verschiedenen Trägern ganz oder teilweise übernommen werden, etwa vom Arbeitsamt.

Bei allen diesen Fragen wird die ESH gerne unterstützend tätig. Wir raten dazu dies frühzeitig in Anspruch zu nehmen, da so manches einfacher werden kann.

Hier findet sich ein aktuelles Rechtsgutachten zum Recht auf inklusive Beschulung in Deutschland unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Und noch ein kleiner Tipp:

Die Gewährung von Nachteilsausgleichen darf nicht unbedingt in Leistungsbewertungen (z.B. Zeugnisse) als Hinweis einfließen. Hier entscheidet das jeweilige Landesrecht (Bei Bedarf bei der ESH nachfragen). Eine offene Nennung wäre schließlich eine potentielle Diskriminierungsquelle. Siehe auch hier.

Positionen der ESH zu Schulbegleitung

Seit Jahren favorisiert die ESH mit ihrer AG Schule die Onlinebeschulung in Regelklassen. Dabei wird dem autistischen Schüler bei korrekter Umsetzung die Möglichkeit gegeben ohne Entscheidungsdruck von außen online am Unterricht teilzunehmen. Die Entscheidung kann vom Schüler selbst jederzeit geändert werden, er kann also auch ins Schulgebäude gehen, wenn er es zu bestimmten Zeiten will, über die er niemandem Rechenschaft ablegen muß.

Schulbegleitung ist ein älteres Modell, das aus einer Zeit stammt, in welcher man sich noch davor scheute Schule an sich barrierefrei zu gestalten. Bei diesem Modell wird dabei eine Begleitperson eingesetzt um nicht an sich die Barrieren im üblichen Schulalltag beseitigen zu müssen. Internationale Standards weisen jedoch klar den Weg zu Lösungen die möglichst weitgehend ohne Assistenz auskommen, da Assistenz auch immer in einem Zustand der Abhängigkeit gefangenhält, der gerade bei Autisten im großen Mangel an geeigneten Assistenzpersonen besonderes Gewicht erhält.

Aber auch im Rahmen von Onlinebeschulung kann solche Assistenz eingesetzt werden, sofern sich der autistische Schüler dafür entscheidet z.B. einen Tag den Unterricht nicht per Webcam, sondern im jeweiligen Klassenraum selbst zu verfolgen.

Diese Frage nach dem Einsatz einer Schulbegleitung ist nicht einfach pauschal mit ja oder nein zu beantworten, sondern müsste individuell entschieden werden am tatsächlichen Bedarf und im Wissen um die heutige Realität der Umsetzung solcher Schulbegleitung vor Ort.

Schulbegleitung erfolgt zumeist nur für einige Wochenstunden, nicht durchweg über den gesamten Stundenplan. Schulbegleiter werden von den Schulen in der Regel nur akzeptiert, wenn die Schule weisungsbefugt ist. Eltern haben in der Regel keine formale Weisungsbefugnis, geschweige denn der autistische Schüler. Genau dies wäre jedoch ein wichtiger Faktor um tatsächlich von "Assistenz" sprechen zu können. Barrieren finden sich in der Regel im üblichen Schulalltag, durch bevorzugte Weisungsbefugnis von Schule und Lehrpersonal wird "der Bock zum Gärtner gemacht". Uns sind Fälle bekannt, in denen engagierte Schulbegleiter von Seiten der Schule Hausverbot erhalten haben, da sie ernsthaft die Interessen des autistischen Schülers vertreten wollten.

Aufgrund dieser Konstellation ist Schulbegleitung in der bisherigen Praxis meist eher eine zusätzliche Aufsichtsperson der Schule, die die Schule vor dem Autisten und auch in der Sache erforderlicher Auseinandersetzung mit Autismus an sich schützen soll, nicht jedoch den autistischen Schüler vor Barrieren im Schulalltag.

Häufig werden Schulbegleiter aus folgenden Gründen bewilligt:

- missverständliche Kommunikationsweise der Lehrer (= Lehrerproblem)
- Mobbing (= Schulproblem hinsichtlich Nulltoleranz bezüglich Mobbing)
- der Schüler wird als störend empfunden (= Lehrer-/Schulproblem)
- Die Eltern möchten, dass auch während der Schulzeit ABA oder eine ähnliche schädliche Therapiemethode stattfindet, bzw. befürchten, der Autist würde ohne ABA in der Schule nichts/das Falsche lernen

Ein Schulbegleiter schützt nicht vor Mobbing (auch nicht durch vom Lehrpersonal ausgehendes Mobbing gegen einzelne Schüler) und das zudem erst recht nicht, wenn er nur wenige Stunden überhaupt anwesend ist.

Bei einem Störempfinden wird in der Regel nicht auf die Bedürfnisse des Schülers adäquat eingegangen, sodass ein Schulbegleiter die sich bis dahin entwickelte Außenseiter- und Unbeliebtheitsrolle nur noch verstärkt. Ziel ist in der Regel ein "Abstellen" des "Störverhaltens" und nicht ein abstellen der Ursachen.

Oft ist es auch so, dass der Schulbegleiter durch die Lehrperson als zusätzliche "Lehrperson" instrumentalisiert wird, so dass der Schulbegleiter dann auch gar nicht mehr Zeit hat, den Autisten 1:1 zu betreuen, weil er noch auf ganz viel anderes achten muss.

Im Rahmen inklusiver Beschulung müssen Lehrer hinsichtlich allgemein effektiverer Kommunikationsformen weitergebildet werden, das gilt auch für alternative Gestaltung der Unterrichtsinhalte entsprechend der unterschiedlichen Lerntypen der Schüler (visuell, akustisch, körperlich/durch Bewegung etc.)

Schüler wollen in der Regel keinen Begleiter und werden daher erst darauf vorbereitet und bearbeitet, diesen als etwas für sie positives anzunehmen und zu "wollen". - dabei sollte eigentlich der Schülerwille respektiert werden.

Problematisch ist auch, dass insbesondere Schulbegleiter als "Ersatztherapeuten" durch manche Eltern und/oder Verbände instruiert werden, um bei Autisten auch während der Unterrichtszeit ABA durchzuführen. Das ist diskriminierend. Schulbegleiter sind keine Therapeuten und sollen eigentlich Barrieren für die betreffenden Schüler mindern und nicht noch weitere schaffen, z.B. indem der Schulbegleiter dazu angehalten ist dafür zu sorgen, dass der Autist mündlich mitarbeitet und auch ansonsten nichtautistisches Verhalten simuliert.

Die Frage ist auch: Warum Schulbegleiter?

All die Jahrgänge älterer Autisten kamen ohne Schulbegleiter durch die Schulzeit. Heutzutage lehnen Schulen die Aufnahme autistischer Schüler jedoch im zunehmendem Maße ab, wenn nicht vorher eine Schulbegleitung/ein Integrationshelfer nachgewiesen bewilligt wurde.

Gleichzeitig wird jedoch bei Schülern, die eine Förderschule besuchen, eine Schulbegleitung abgelehnt, weil das dortige Personal kompetent genug sei, wobei dort tatsächlich jedoch oftmals haarsträubende Situationen bestehen, die angeblich "pädagogisch", aber in keinster Weise reflektiert sind in Bezug auf Autisten und dortige Lehrer trotz vorgeblicher jahrelanger Erfahrung mit Autisten im Alltag durch Unwissenheit im Umgang mit Autisten glänzen.

Möglicher Nachteil durch Schulbegleiter bei mehreren so "geförderten" Schülern pro Klasse wäre Unruhe und dadurch bedingte geringere Konzentrationsfähigkeiten, wenn bei ruhiger Arbeit ständig verschiedene Gespräche zu unterschiedlichen Lehrinhalten erfolgen.

Manche Kinder wollen nicht aus dem Unterricht geholt werden, empfinden es als Ausgrenzung. Rausschicken gilt im schulischen Zusammenhang sonst als Strafe. Auch herausgeholt werden kann ein belastender Kontrollverlust sein, der die Beziehung zum Unterrichtsgeschehen nachhaltig stören kann, indem ständig befürchtet wird die Fremdbestimmung könne wieder eintreten.

Die Vorstellung, zwei feste Lehrer pro Klasse plus eine feste Assistenz pro Klasse, wäre eventuell eine Möglichkeit, nur würden auch dabei Autisten wahrscheinlich benachteiligt sein, da in der Regel Schüler mit körperlichen Beeinträchtigungen einen "moralischen Vorrang" gewährt bekämen.

In der Schweiz erfolgen Hilfen für Schüler oder auch in der schulischen Berufsausbildung über Coaches, die nachmittags den Schultag rekapitulieren und vom Schüler berichtete oder durch Dritte umschriebene Problemsituationen durchgehen und Lösungsstrategien auf Augenhöhe mit dem Schüler erarbeiten. Die Zusammenarbeit mit Eltern ist dabei wohl stark ausgeprägt. Finanziert über die IV, was in Deutschland sinngemäß direkt über die Eingliederungshilfe oder mittels Persönlichem Budget finanziert würde.

Problem ist, dass sich manche Schulen gegen Schulbegleiter sperren wie auch Eltern anderer Kinder, die darin eine Übervorteilung vermuten und offenbar die Bedeutung nicht verstanden haben.

In der Regel werden Schulbegleiter beispielsweise auch für Pausensituationen eingesetzt, um nebenher ein "soziales Kompetenztraining" auf dem Pausenhof am autistischen Schüler zu absolvieren. Bei diesem wie auch bei den anderen beispielhaften Einsatzgebieten für Schulbegleiter, wie sie in der Regel vorkommen - handelt es sich im Grunde um eine diskriminierende, dahinter stehende Sichtweise, die eine vermeintlich ideale Norm als zu erreichenden Maßstab ansieht:

"Soziale Teilhabe und Normalisierung müssen als grundlegende Prinzipien verstanden werden." Aus dem Buch "Inklusion für Menschen mit Autismus" des Bundesverbandes autismus Deutschland e.V., Seite 365, Kapitel "Schule in Bewegung - Die Voraussetzungen für erfolgreiches gemeinsames Lernen" im Abschnitt "Aufgaben einer inklusiven pädagogischen Förderung".

Das Ziel von Inklusion - und somit auch des Einsatzes von Schulbegleitern - ist nicht die "Normalisierung", also Umerziehung von Autisten, sondern die Akzeptanz des Autistisch-Seins und der Abbau von Barrieren, die in der Umwelt des jeweiligen Autisten bestehen und nicht dem veralteten medizinischen Behinderungebegriff beim Autisten selbst zu verorten wären.

Sinnvoller wären wahrscheinlich Coaches für Lehrer - mit einem breitgefächerten Wissen um Barrieren, verschiedene Diagnosebilder und diesbezügliche Notwendigkeiten an Barrierefreiheit. Hierbei wird vorausgesetzt, daß diese Coaches unter Supervision geeigneter Organisationen (Disabled People Organisations) von Autisten stehen und nicht nur wie üblich von Elternverbänden instruiert werden, die entgegen eigener Darstellungen nicht die Interessen von Autisten vertreten.

Weitere relevante Stichpunkte:

Ein selbstausgewählter Schulbegleiter, der in seiner Struktur dem Kind ähnlich ist, wurde von Kind sehr gut angenommen, da sich in der anderen Art nicht mehr als "allein auf der Welt" angenommen wurde. Noch besser: Lehrer oder Schulleiter sind von ähnlicher Struktur.

Reflektion des Schulbegleiters mit der ESH wirkt sich positiv auf Schulbegleiter aus, da dieser sich nicht "allein gelassen" fühlt.

Schulbegleiter im Arbeitgebermodell bei Eltern positionieren Eltern günstiger zur Schule, da die Schulen ein größeres Interesse an der Zusammenarbeit mit den Eltern haben: (Eltern "warm halten", damit die "zweite Kraft" in der Klasse gewährleistet ist bei zunehmender Regelbeschulung behinderter Kinder und unzulänglicher Zuweisung zusätzlicher Lehrkräfte.)

Schulbegleiter von großen Hilfeträgern sehen sich in der Informationspflicht gegenüber dem Auftraggebers und dem Jugendamt und beziehen weitaus weniger die Eltern in die schulischen Vorgänge ein.

Lt. Studie 65 % der Schulbegleiter von Beruf "Erzieher". In Erzieherausbildung wird Autismus nur kurz angerissen, aber Erzieher gelten als "Fachleute" für Autisten und werden von Lehrern als pädagogische Unterstützung eingeordnet, was das Vertrauensverhältnis des Kindes stark beeinflussen kann, da es sich "verraten und verkauft" fühlen kann .

Wenn Erzieher eine Stelle mit besserer Bezahlung gefunden haben, Wechsel der Beschäftigung. Statistisch höchste Bleibezeit sind 1 1/2 Jahre, pädagogisch sehr bedenklich und für Autisten nicht geeignete Begleitungsdauer.

Erzieher sollte Lebenserfahrung haben, weil von Lehrern und Schulleitern weniger steuerbar und erfahren im Umgang mit Menschen und Vermeiden von Fronten, aber dennoch klare Stellung beziehend für das zu begleitende Kind.

Pflegeeltern sollten sich gegenüber Jugendämtern im Sinne des Kindeswohls besser durchsetzen können und wegen der Nähe zum Kind die Auswahl des Schulbegleiters treffen können.

Jugendämter sollten in der Macht beschnitten werden, einen geeigneten Schulbegleiter aus dem vorhandenen Angebot großer Hilfeträger selbst auszuwählen oder diese Dienste bei großen Hilfeträger anzusiedeln.

Schulen sollten keine Mitwirkungsrechte bei der Einstellung von Schulbegleitern haben, da eine hohe Neigung besteht, sie als pädagogisches Personal einzuverleiben und sie durch Knebelverträge in Schulverpflichtungen zu nehmen, die sich auch gegen Elternrechte richten.

Schulbegleiter, die unhaltbare Zustände an Schulen anzeigen, sollten unmittelbar beim zuständigen Schulamt bei einem Ombutsmann Gehör finden, da viele Schulräte die gute Beziehung zu der jeweiligen Schule nicht riskieren wollen oder die einmal gemachten Beschulungspläne vor Ort nicht aufheben wollen, sie also vor das Kindeswohl stellen.

Jugendämter sollten die Mitwirkung von Interessengemeinschaften von Betreffenden nicht verweigern dürfen, da die Inkompetenz vieler Schulbegleiter dazu führt, dass viele autistische Kinder keinen Anwalt ähnlicher Wesensbeschaffenheit vor Ort haben und deshalb nicht verstanden werden.

Wenn ein Schulbegleiter wegen mangelnder Autismuskompetenz für das Kind nicht geeignet gehalten wird, dann sollte er keine weitere Schulbegleitung eines Autisten übernehmen dürfen, ohne sich vorher bei Autisten entsprechend ausbilden zu lassen.

Zu Schulkonferrenzen mit und ohne Beteiligung von Schulamt und Aufsichtsbehörden muss der Schulbegleiter eingeladen werden.

Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr gemäß AGG

Das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sieht nicht nur Regelungen für Gleichbehandlung im Arbeitsleben vor, sondern auch bei Massengeschäften wie Telefonanschlüssen, Versicherungen (ausgenommen ist die Risikokalkulation), Hotelübernachtungen, Einkäufen im Supermarkt, in der Gastronomie, in Schwimmbädern, Fahrten mit Taxi, Bus und Bahn. Massengeschäfte sind alle Geschäfte, die üblicherweise mit jeder zahlungswilligen Person abgeschlossen werden. Als damit vergleichbare Schuldverhältnisse gelten auch Geschäfte, bei denen üblicherweise das Ansehen der Person eine weniger entscheidende Bedeutung hat, z.B. bei einem gewerblichen Autoverleih.

Unternehmen oder Unternehmer, die solche Massengeschäfte anbieten, dürfen autistische Kunden nicht aufgrund autistischer Eigenschaften diskriminieren, z.B. indem das Servicecenter nur über Telefon und nicht über Fax erreichbar ist oder die Erreichbarkeit per Fax schlechter ist als über die Hotline. Wenn Differenzierungen jedoch an anderen Kriterien festzumachen sind, die nicht durch das AGG geschützt sind sind diese rechtmäßig, z.B. wenn eine Fluglinie einen Passagier nicht befördert, weil er betrunken ist. Ebenso kenn es gerechtfertigt sein laut §20 aus sachlichen Gründen Unterscheidungen vorzunehmen, z.B. wegen Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt oder besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt. Es ist also kein sachlicher Grund im Sinne des AGG, wenn Sachbearbeiter eines Unternehmens darauf verweisen, daß sie keine Emails oder Faxe versenden dürfen.

Ergänzende Quelle: http://www.rostock.ihk24.de/produktmarken/recht_und_fair_play/arbeitsrec...

Mögliche Maßnahmen sind Unterlassungsklagen bei fortgesetzter Benachteiligung und auch Schadensersatz aufgrund von Benachteiligung, was Schmerzensgeld einschließen dürfte (siehe § 21,2, zweiter Satz). Schadensersatzansprüche laut §21,5 müssen in der Regel innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden, daher sollte der Ombudsrat jeweils umgehend informiert werden, sofern das erwünscht ist. Es lassen sich viele andere Konstellationen denken, daher sei hier der Gesetzestext umfassen zitiert, einschließlich der Regelung der Beweislastumkehr zugunsten des Autisten, wenn dieser Indizien nennen kann, die auf eine Benachteiligung hindeuten:

Tipps zur Beweissicherung: Auch wenn in §22 die Beweislast bei Indizien, die eine Diskriminierung vermuten lassen an das Unternehmen oder den Unternehmer fällt, ist eine gute Beweissicherung sinnvoll. Sobald wie möglich sollte das Erlebnis der mutmaßlichen Diskriminierung in einem datierten Gedächtnisprotokoll umfassend aufgeschrieben werden. Wichtig ist dabei besonders z.B. bei einer Hotelübernachtung zu notieren welcher Mitarbeiter, was bezüglich der mutmaßlichen Diskriminierung getan oder unterlassen hat. Wenn der Name nicht bekannt ist das Aussehen möglichst genau beschreiben (z.B. Haarfarbe, Körpergröße, Kleidung, Geschlecht), eventuell andere Merkmale wie Stimme, Dialekt, auffällige Bewegungsmuster, individuelle Wortwahl. Die Uhrzeit des Geschehens sollte möglichst genau festgehalten werden um später ggf. aus Dienstplänen Rückschlüsse ableiten zu können.

Zitat:
“AGG § 19 Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot

(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die

  1. typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder
  2. eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben,

ist unzulässig.

(2) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft ist darüber hinaus auch bei der Begründung, Durchführung und Beendigung sonstiger zivilrechtlicher Schuldverhältnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 unzulässig.

(3) Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig.

(4) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse.

(5) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf zivilrechtliche Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. Bei Mietverhältnissen kann dies insbesondere der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen. Die Vermietung von Wohnraum zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch ist in der Regel kein Geschäft im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet.

§ 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung

(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung

  1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient,
  2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,
  3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,
  4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.

(2) Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 bei den Prämien oder Leistungen nur zulässig, wenn dessen Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.

§ 21 Ansprüche

(1) Der Benachteiligte kann bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot unbeschadet weiterer Ansprüche die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen.

(2) Bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbots ist der Benachteiligende verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Benachteiligende die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Benachteiligte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.

(3) Ansprüche aus unerlaubter Handlung bleiben unberührt.

(4) Auf eine Vereinbarung, die von dem Benachteiligungsverbot abweicht, kann sich der Benachteiligende nicht berufen.

(5) Ein Anspruch nach den Absätzen 1 und 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden. Nach Ablauf der Frist kann der Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn der Benachteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war.

Abschnitt 4

Rechtsschutz

§ 22 Beweislast

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/agg/

Zitat aus der Gesetzesbegründung Bundestagsdrucksache 16/1780, die hier wegen der schlechten Auffindbarkeit dieses Dokuments im Internet hier umfassend zitiert wird, jedoch derzeit auch in der unten genannten pdf-Quelle nachgeselesen werden kann und trotz andersartiger Beispiele wohl sinngemäß auf die Situation von Autisten übertragen werden kann:

Zitat:
“Zu § 19 (Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot)

Die Vorschrift enthält das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot.Absatz 1 enthält die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereiches für Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes,also aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft,des Geschlechts,der Religion oder Weltanschauung,einer Behinderung,des Alters oder der sexuellen Identität.Absatz 2 konkretisiert unter Bezug auf § 2 Abs.1 Nr.5 bis 8 (entsprechend Artikel 3 Abs.1 Buchstabe e bis h der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG) den sachlichen Anwendungsbereich bei Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft. Absatz 3 trägt dem Anliegen insbesondere der Wohnungswirtschaft Rechnung,bei der Vermietung von Wohnraum den bewährten Grundsätzen einer sozialen Stadt- und Wohnungspolitik Rechnung tragen zu können.Absatz 4 stellt klar,dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für familien-und erbrechtliche Schuldverhältnisse nicht gilt. Absatz 5 schließlich regelt die Anwendung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots im engeren persönlichen Nähebereich.

Zu Absatz 1

Absatz 1 regelt das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot. Erfasst sind hiernach Massengeschäfte bzw.vergleichbare Schuldverhältnisse (Nummer 1)und darüber hinaus alle privatrechtliche Versicherungen aller Art (Nummer 2). Absatz 1 Nr.1 erfasst in der ersten Alternative zunächst Massengeschäfte,also diejenigen zivilrechtlichen Schuldverhältnisse,die typischerweise ohne Ansehen der Person in einer Vielzahl von Fällen zu gleichen Bedingungen zustande kommen.Dieser Tatbestand ermöglicht die erforderliche Balance zwischen dem Schutz vor diskriminierendem Verhalten im Privatrechtsverkehr einerseits und der gebotenen Wahrung der Vertragsfreiheit andererseits.Die Vorschrift setzt zugleich Artikel 3 Abs.1 der Gleichbehandlungsrichtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt 2004/113/EG um,die ebenfalls darauf abstellt,dass es sich um Güter und Dienstleistungen handeln muss,die ohne Ansehen der Person abgesetzt werden.In Artikel 3 Abs.2 dieser Richtlinie weist die Europäische Gemeinschaft ausdrücklich auf die Bedeutung der freien Wahl des Vertragspartners hin.

Erfasst sind zivilrechtliche Schuldverhältnisse aller Artikel. Meist wird es sich – wie bei dem erweiterten Benachteiligungsverbot aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft nach Absatz 2 – um den Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen handeln (siehe auch § 2 Abs.1 Nr.8,der Artikel 3 Abs.1 Buchstabe h der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG wörtlich übernimmt). Der Tatbestand ist allerdings insoweit enger als Absatz 2 i.V.m.§ 2 Abs.1 Nr.8,weil nur diejenigen Schuldverhältnisse erfasst sind,die darüber hinaus bei einer typisierenden Betrachtungsweise in einer Vielzahl von Fällen ohne Ansehen der Person zustande kommen. Damit müssen für ein Massengeschäft folgende weitere Kriterien erfüllt sein:

Zum einen geht es damit nicht um einmalige Sachverhalte, sondern um Fälle,die häufig auftreten.Ob es sich typischerweise um eine „Vielzahl von Fällen “ handelt,ist aus der Sicht der Anbieterseite zu beurteilen,denn an sie (und nicht an den nachfragenden Kunden) richtet sich das Benachteiligungsverbot. So ist etwa der Absatz von Gebrauchtwagen für den gewerblichen Kfz-Händler ein Geschäft,das er in einer Vielzahl von Fällen abwickelt. Anders ist es bei einer Privatperson,die ihren gebrauchten Pkw verkaufen will.Damit sind in der Regel also nur diejenigen Leistungen vom allgemeinen zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot erfasst,die von Unternehmen erbracht werden,also von natürlichen oder juristischen Personen, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Selbstständigkeit handeln (§ 14 BGB). Der mit dem Benachteiligungsverbot zwangsläufig verbundene Eingriff in die Vertragsfreiheit lässt sich bei Unternehmen eher rechtfertigen,weil sie sich mit ihrem Leistungsangebot in die öffentliche Sphäre begeben und es damit grundsätzlich an die Allgemeinheit richten (so schon Bydlinski, Archiv für die civilistische Praxis 180 [1980 ],1,39).

Weiterhin muss es sich um Schuldverhältnisse handeln,die typischerweise „ohne Ansehen der Person “ und „zu gleichen Bedingungen“ begründet,durchgeführt und beendet werden. Denn die sozial verwerfliche Diskriminierung unterscheidet sich von der durch das Prinzip der Vertragsfreiheit gedeckten erlaubten Differenzierung gerade dadurch,dass willkürlich und ohne sachlichen Grund einzelnen Personen der Zugang zu einer Leistung verwehrt oder erschwert wird,die ansonsten anderen Personen gleichermaßen zur Verfügung steht. Ein Schuldverhältnis wird ohne Ansehen der Person begründet,durchgeführt oder beendet,wenn hierbei die in § 1 genannten Merkmale typischerweise keine Rolle spielen. Insbesondere im Bereich der Konsumgüterwirtschaft und bei standardisierten Dienstleistungen kommen Verträge typischerweise ohne Ansehen der Person zustande: Im Einzelhandel,in der Gastronomie oder im Transportwesen schließen die Unternehmer im Rahmen ihrer Kapazitäten Verträge ohne weiteres mit jeder zahlungswilligen und zahlungsfähigen Person,ohne dass nach den in § 1 genannten Merkmalen unterschieden würde.Natürlich hängt der Vertrag häufig auch hier von weiteren,vertragsspezifischen Bedingungen ab,die sich aus Treu und Glauben,aus der Verkehrssitte oder aus der Natur des Schuldverhältnisses ergeben: Ein Taxifahrer muss einen Fahrgast mit extrem verschmutzter Kleidung nicht befördern;ein Gastwirt kann einen randalierenden Besucher aus der Gaststätte weisen.Diese Handlungen sind schon deshalb nicht benachteiligend im Sinne dieses Gesetzes,weil sie weder unmittelbar noch mittelbar an die in § 1 genannten Merkmale anknüpfen.

Weil Massengeschäfte regelmäßig „ohne Ansehen der Person“ zustande kommen,werden diese Verträge (und andere Schuldverhältnisse) typischerweise auch „zu vergleichbaren Bedingungen“ begründet,durchgeführt und beendet.Die Gleichbehandlung bei Erbringung der Leistung ist letztlich Spiegelbild der Tatsache,dass der Anbieter bei der Auswahl des Vertragspartners nicht unterscheidet.

Differenziert der Unternehmer im Einzelfall bei der Auswahl des Vertragspartners oder bei der Erbringung der Leistung dennoch von vorne herein nach den in § 1 genannten Merkmalen,ändert sich nichts an der Anwendbarkeit der Vorschrift.Die Einordnung als Massengeschäft erfolgt nämlich nach einer allgemeinen,typisierenden Betrachtungsweise. So sind etwa Freizeiteinrichtungen (Badeanstalten,Fitnessclubs etc.)typischerweise für Angehörige jedes Geschlechts und jedes Alters zugänglich.Die Differenzierung nach diesen Merkmalen im Einzelfall (z.B.gesonderte Öffnungszeiten in einer Badeanstalt nur für Frauen,Altersbeschränkungen bei der Aufnahme in einen Fitnessclub)ist also nur zulässig,sofern sie nach § 20 wegen eines sachlichen Grundes gerechtfertigt ist.

Unerheblich ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise auch,ob einzelne Vertragspartner beispielsweise wegen eines besonderen Verhandlungsgeschicks im Einzelfall Preisnachlässe erreichen.Differenzierungen,die zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten dienen und Merkmale des § 1 betreffen (z.B.ein Mindestalter aus Gründen des Jugendschutzes verlangen), sind selbstverständlich ohne weiteres zulässig.

Auch Privatversicherungen können strukturell Massengeschäfte i.S.d.Nummer 1 sein,wenn bei dem angebotenen Versicherungsschutz typischerweise auf die Ermittlung von Risikoindikatoren verzichtet wird,die vom Anwendungsbereich des § 1 erfasst sind.Das ist etwa bei Reisegepäckversicherungen der Fall,die aber auch – wie andere privatrechtliche Versicherungen,insbesondere die private Kranken- und Lebensversicherung – grundsätzlich über Nummer 2 erfasst werden.Bei der Überlassung von Räumen wird es sich meist nicht um Massengeschäfte im Sinne der ersten Alternative handeln,denn die Anbieter von Wohn-oder Geschäftsräumen wählen ihren Vertragspartner regelmäßig individuell nach vielfältigen Kriterien aus dem Bewerberkreis aus. Anders kann es sich verhalten,wenn etwa der Vertragsschluss über Hotelzimmer oder Ferienwohnungen über das Internet abgewickelt und hierbei auf eine individuelle Mieterauswahl verzichtet wird. Kreditgeschäfte beruhen meist auf einer individuellen Risikoprüfung.Auch hier wird es sich deshalb regelmäßig nicht um Massengeschäfte handeln.

Von der zweiten Alternative werden auch Rechtsgeschäfte erfasst,bei denen „das Ansehen der Person“ zwar eine Rolle spielt;diese Voraussetzung jedoch eine nachrangige Bedeutung hat. Dies wird z.B.vielfach der Fall sein,wenn ein großer Wohnungsanbieter eine Vielzahl von Wohnungen anbietet.

Absatz 1 Nr.2 bezieht als Spezialvorschrift zu Nummer 1 ausdrücklich alle privatrechtlichen Versicherungsverhältnisse ein,denn Absatz 1 Nr.1 würde nur,wie soeben erläutert, Versicherungen erfassen,die typischerweise auf die Ermittlung von einschlägigen Risikoindikatoren verzichten.Im Bereich der Privatversicherung besteht nämlich auch bei individueller Risikoprüfung ein Bedürfnis,sozial nicht zu rechtfertigende Unterscheidungen zu unterbinden: Versicherungen decken häufig elementare Lebensrisiken ab; deshalb kann der verweigerte Vertragsschluss für den Benachteiligten schwerwiegende Auswirkungen haben.Was die Festlegung von Prämien und die Gewährung von Leistungen durch Versicherungen angeht,legt § 20 Abs.2 gesetzlich die Voraussetzungen fest,unter denen die Versicherungen das Geschlecht (Satz 1) oder die anderen Merkmale (Satz 2) weiterhin als Differenzierungsmerkmal bei der Risikobewertung heranziehen dürfen.

Zu Absatz 2

Absatz 2 erstreckt den Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots bei Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft auf sämtliche zivilrechtliche Schuldverhältnisse,die von § 2 Abs.1 Nr.5 bis 8 erfasst sind.Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung zu § 2 verwiesen.Von besonderer Bedeutung ist § 2 Abs.1 Nr.8,der Artikel 3 Abs.1 Buchstabe h der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG entspricht und ein Benachteiligungsverbot fordert,das nicht nur für in Absatz 1 geregelte Schuldverhältnisse gilt,sondern für Schuldverhältnisse aller Art,die den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Erfasst sind hier beispielsweise auch Geschäfte Privater,sofern der Vertragsschluss öffentlich angeboten wird, etwa der Verkauf des gebrauchten privaten PKW über eine Zeitungsannonce.

Zu Absatz 3

Absatz 3 trägt dem Anliegen insbesondere der Wohnungswirtschaft Rechnung,bei der Vermietung von Wohnraum den bewährten Grundsätzen einer sozialen Stadt- und Wohnungspolitik Rechnung tragen zu können. Die europäische Stadt setzt auf Integration und schafft damit die Voraussetzungen für ein Zusammenleben der Kulturen ohne wechselseitige Ausgrenzung. Je stärker der soziale Zusammenhalt, desto weniger kommt es zu Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft oder aus anderen im Gesetz genannten Gründen.

Diese Prinzipien finden sich beispielsweise in § 6 des Wohnraumförderungsgesetzes,der unter anderem die Notwendigkeit unterstreicht,sozial stabile Bewohnerstrukturen zu erhalten und ausgewogene Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichene wirtschaftliche,soziale und kulturelle Verhältnisse zu schaffen und zu erhalten.Absatz 3 stellt deshalb klar, dass bei der Vermietung von Wohnraum eine unterschiedliche Behandlung zulässig sein kann,sofern sie den genannten Zielen dient.Selbstverständlich ist damit keine Unterrepräsentanz bestimmter Gruppen zu rechtfertigen.

Zu Absatz 4

Nach Absatz 4 sind die im Familien-und Erbrecht geregelten Schuldverhältnisse ausgeschlossen,weil sie sich grundlegend von den Verträgen des sonstigen Privatrechts unterscheiden.Wegen des inneren Zusammenhangs zum Erbrecht sind Vereinbarungen,die eine Erbfolge vorweg nehmen, ebenfalls von dem Ausschluss erfasst.

Zu Absatz 5

Absatz 5 trägt den Maßgaben des Erwägungsgrundes 4 der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG sowie des Erwägungs-
grundes 3 der Gleichbehandlungsrichtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt 2004/113/EG Rechnung,wonach der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleiben soll.Artikel 3 Abs.1 der Richtlinie 2004/113/EG beschränkt außerdem den Geltungsbereich des geschlechtsspezifischen Diskriminierungsverbots auf Güter und Dienstleistungen, „die außerhalb des Bereichs des Privat-und Familienlebens und der in diesem Kontext stattfindenden Transaktionen angeboten werden“. Entsprechend soll die Regelung des Absatzes 5 gewährleisten,dass nicht unverhältnismäßig in den engsten Lebensbereich der durch das Benachteiligungsverbot verpflichteten Person eingegriffen wird. Die Bestimmung kommt auch für Benachteiligungsverbote zur Anwendung,die nicht auf der Umsetzung von Richtlinien beruhen, denn der Grundgedanke gilt hier in gleicher Weise.

Ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis im Sinne von Satz 1 erfordert eine Beziehung,die über das hinausgeht, was ohnehin jedem Schuldverhältnis an persönlichem Kontakt zugrunde liegt. Dies kann beispielsweise darauf beruhen,dass es sich um ein für die durch das Benachteiligungsverbot verpflichtete Person besonders bedeutendes Geschäft handelt, oder dass der Vertrag besonders engen oder lang andauernden Kontakt der Vertragspartner mit sich bringen würde.

Satz 2 benennt ein – nicht abschließendes – Beispiel für den in Satz 1 benannten Grundsatz: Mietverhältnisse, bei denen die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen, sind vom Anwendungsbereich ausgenommen.Wegen des besonderen Näheverhältnisses ist es hier insbesondere nicht zumutbar,dem Vermieter eine Vertragspartei aufzuzwingen. Zugleich sind damit sämtliche Ansprüche auf Ersatz von Schäden ausgeschlossen,die auf eine Vertragsverweigerung zurückzuführen sind. Bei der Auslegung des Begriffs „Angehörige“ ist zu berücksichtigen,dass die Ausnahmevorschrift des Absatzes 5 dem Erwägungsgrund 4 der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG Rechnung zu tragen hat. Hiernach „ist es wichtig,dass im Zusammenhang mit dem Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen der Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens sowie der in diesem Kontext getätigten Geschäfte gewahrt bleibt“.Der Begriff des Angehörigen
erfasst damit Mitglieder des engeren Familienkreises,nämlich Eltern, Kinder, Ehe- und Lebenspartner und Geschwister. Er dürfte damit im Wesentlichen mit dem Begriff der engen Familienangehörigen im Sinne des § 573 Abs.1 Nr.2 BGB übereinstimmen.

Zu § 20 (Zulässige unterschiedliche Behandlung)

§ 20 regelt,in welchen Fällen eine unterschiedliche Behandlung wegen einer Behinderung,der Religion oder Weltanschauung,des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts, die den Tatbestand des § 19 Abs.1 erfüllt, gleichwohl zulässig ist. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes liegt dann nicht vor.Die Norm ist als Rechtfertigungsgrund ausgestaltet. Der Anbieter muss also nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung darlegen und beweisen. Bei einer mittelbaren Benachteiligung (§ 3 Abs.2) sind Fragen der zulässigen Ungleichbehandlung bereits auf Tatbestandsebene zu entscheiden; es werden also viele in § 20 geregelte Fragen bereits an dieser Stelle (und nicht erst auf der Ebene der Rechtfertigung)zu prüfen sein. Unberührt von alledem bleibt das Benachteiligungsverbot des § 19 Abs.2, das der Umsetzung der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG dient, denn in dieser Richtlinie sind entsprechende Rechtfertigungsgründe nicht vorgesehen.

Satz 1 enthält den Grundsatz,wonach Unterscheidungen zulässig sind,für die ein sachlicher Grund vorliegt. Dieser Rechtfertigungsgrund ist erforderlich,weil bei den genannten Merkmalen – anders als bei Unterscheidungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft – Differenzierungen im allgemeinen Zivilrecht oft akzeptiert oder sogar höchst erwünscht sind. Beispielhaft erwähnt seien hier nur Preisrabatte für Schülerinnen und Schüler oder für Studierende oder gesonderte Öffnungszeiten für Frauen in
Schwimmbädern. Andere Unterscheidungen werden von den Betroffenen zwar subjektiv als diskriminierend empfuden, dienen objektiv aber notwendigen Zwecken, etwa der Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten und damit der Schadensverhütung. All diese Unterscheidungen können und sollen weiterhin möglich sein;denn hierbei handelt es
sich nicht um Diskriminierungen,also sozial verwerfliche Unterscheidungen. Satz 1 dient damit auch der Umsetzung von Artikel 4 Abs.5 der Gleichbehandlungsrichtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt 2004/113/EG, wonach es gerechtfertigt sein kann,Güter und Dienstleistungen ausschließlich oder vorwiegend für die Angehörigen eines Geschlechts bereitzustellen.

Die Feststellung eines sachlichen Grundes bedarf einer wertenden Feststellung im Einzelfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und entzieht sich wegen der Reichweite des allgemeinen zivilrechtlichen Benachteiligungsverbotes einer abschließenden näheren Konkretisierung.Die sachlichen Gründe können sich zunächst aus dem Charakter des Schuldverhältnisses ergeben.Es können Umstände sein, die aus der Sphäre desjenigen stammen,der die Unterscheidung trifft, oder aber aus der Sphäre desjenigen,der von der Unterscheidung betroffen ist.

Das Erfordernis einer Abwägung im Einzelfall kommt auch im bereits erwähnten Rechtfertigungsgrund des Artikels 4 Abs.5 der Richtlinie 2004/113/EG zum Ausdruck. Der Erwägungsgrund 17 dieser Richtlinie stellt darüber hinaus klar,dass beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen die jeweiligen Möglichkeiten nicht in jedem Fall gleichermaßen geboten werden müssen,sofern dabei nicht Angehörige des einen Geschlechts besser gestellt sind als die des anderen. Es ist also sachlich gerechtfertigt,Waren und Dienstleistungen geschlechtspezifisch anzubieten,sofern dies sachlichen Kriterien Rechnung trägt. Ein weiteres Beispiel sind etwa Sportveranstaltungen, die nur Angehörigen eines Geschlechts zugänglich sind (siehe Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2004/113/EG).

In der Praxis werden meist die Regelbeispiele in Nummer 1 bis 4 einschlägig sein,die – nicht abschließend – die wichtigsten Fallgruppen umreißen und zugleich eine Richtschnur für die Auslegung des Grundtatbestandes geben können. Nummer 1 rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung, die der Vermeidung von Gefahren,der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient.Zweck der Vorschrift ist vor allem die Notwendigkeit, bei Massengeschäften die Beachtung von Verkehrssicherungspflichten durchzusetzen.So kann es z.B.in Freizeitparks erforderlich sein,den Zugang zu Fahrgeschäften für Menschen mit einer körperlichen Behinderung zu beschränken oder aber auf einer Begleitperson zu bestehen.Ein weiteres Beispiel ist der Schutz von Opfern sexueller Gewalt durch Einrichtungen, die nur Angehörigen eines Geschlechts Zuflucht bieten (sie- he Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2004/113/EG).

Der Vermeidung von Gefahren,der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art kann die unter- schiedliche Behandlung regelmäßig nur dienen,wenn sie zur Zweckerreichung grundsätzlich geeignet und erforderlich ist. Willkürliche Anforderungen sind deshalb von Nummer 1 nicht gedeckt. Dem Anbieter steht hierbei allerdings ein gewisser Spielraum zur Verfügung.Das ist zum einen deshalb erforderlich,weil etwa eine vorbeugende Schadensverhütung zwangsläufig auf Prognosen beruht,die mit Unsicher- heiten behaftet ist.Zum anderen kann bei der Abwicklung von Massengeschäften auf eine Standardisierung nicht ver- zichtet werden. So kann es etwa gerechtfertigt sein, den Zugang zu risikobehafteten Leistungen (z.B.Ausübung gefährlicher Sportarten in einer privaten Anlage) erst Kunden ab 18 Jahren zu erlauben.

Nummer 2 trägt der Tatsache Rechnung,dass es insbesondere Unterscheidungen nach dem Geschlecht gibt,die auf das Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit reagieren.Strukturell ähnelt der Rechtfertigungsgrund einer positiven Maßnahme (§ 4). Maßnahmen dieser Art – wie etwa getrennte Öffnungszeiten in Schwimmbädern und Saunen,die Bereithaltung von Frauenparkplätzen sind sozial erwünscht und gesellschaftlich weithin akzeptiert.

Die Vorschrift rechtfertigt Unterscheidungen nur dann,wenn sie aus nachvollziehbaren Gründen erfolgen.So sind Frauen generell einer größeren Gefahr als Männer ausgesetzt, Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu werden. Es kann deshalb gerechtfertigt sein,in Parkhäusern Frauenparkplätze zur Verfügung zu stellen,auch wenn sich im Einzelfall nicht nachweisen lassen sollte,dass besondere Gefahren drohen,etwa bei einem beleuchteten Parkplatz in einem sicheren Einkaufcenter. Nicht jedes subjektive Sicherheitsbedürfnis reicht jedoch zur Rechtfertigung einer Unterscheidung aus. Wenngleich keine Bedrohungslage nachgewiesen werden muss,ist es doch nötig,dass einem verständlichen Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen werden soll. Eine beispielsweise auf Xenophobie beruhende pauschale Angst vor „dem Islam“ oder „den Juden“ kann daher eine Ungleichbehandlung nach dem Merkmal der Religion nicht rechtfertigen.

Nummer 3 erfasst diejenigen Fälle,in denen Personen wegen einer Behinderung,der Religion oder Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein besonderer Vorteil gewährt wird.Mit dieser Bevorzugung – meist wird es sich um Preisnachlässe oder andere Sonderkonditionen bei der Anbahnung, Durchführung oder Beendigung von Massengeschäften handeln – ist notwendigerweise eine Benachteiligung aller anderen verbunden. Hier besteht kein Anlass,den Grundsatz der Gleichbehandlung durchzusetzen.Die gewährten Vergünstigungen reagieren nämlich entweder darauf, dass bestimmte Gruppen typischerweise weniger leistungsfähig sind:Rabatte für Schüler und Studenten etwa sind damit zu begründen, dass sie meist nicht über ein Erwerbseinkommen verfügen. Oder aber die Vergünstigungen bezwecken die gezielte Ansprache von Kundenkreisen,die der Anbieter anlocken möchte. Diese Maßnahmen sind also nicht diskriminierend,sondern im Gegenteil sozial erwünscht bzw.Bestandteil einer auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaft. Ein Verbot dieser Praktiken würde auch den objektiv benachteiligten Personenkreisen nicht helfen,denn der Anbieter würde nicht mit der Erstreckung der Vorteile auf alle Kunden reagieren,sondern mit dem Verzicht auf jegliche Vergünstigung.

Anders ist es,wenn die Gewährung gezielter Vorteile dazu dient,eine diskriminierende Verhaltensweise bei Massengeschäften nur zu tarnen. Das wäre etwa bei einer Preisgestaltung denkbar,bei der das regulär geforderte Entgelt weit über dem Marktpreis liegt, so dass es dem Anbietenden im Ergebnis nur darum geht,den Kundenkreis auf diejenigen Personen zu beschränken,die Adressaten der „besonderen Vorteile“ (tatsächlich aber des Normalpreises) sind. Die Voraussetzungen von Nummer 3 sind hier nicht gegeben, weil hier ein Interesse besteht,diese Ungleichbehandlung zu unterbinden.

Nummer 4 regelt die zulässige unterschiedliche Behandlung, die an die (tatsächliche oder ihm zugeschriebene)Religion oder Weltanschauung des Benachteiligten anknüpft.Es geht hierbei meist um Fälle, bei denen die unterschiedliche Behandlung auf religiösen oder weltanschaulichen Motiven des Benachteiligenden beruht.

Nimmt jemand in einer Weise am privaten Rechtsverkehr teil, die Ausdruck seiner religiösen Grundhaltung ist, so wird sein Handeln nicht nur durch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Artikel 2 Abs.1 GG,sondern auch durch seine Glaubensfreiheit, Artikel 4 Abs.1 GG, geschützt. Übt der Gläubige einen Beruf aus,der die Einhaltung bestimmter religiöser Vorgaben fordert (etwa der islamische Metzger, der das Fleisch von Tieren verkaufen will, die nach islamischen Regeln geschlachtet worden sind),so wird sein Handeln von Artikel 12 Abs.1 bzw.Artikel 2 Abs.1 i.V.m. Artikel 4 Abs.1 GG geschützt (vgl.BVerfGE 104,337, 346 – „Schächten “). Dieselben Überlegungen gelten für weltanschaulich motiviertes Handeln.

Darüber hinaus ist zu beachten,dass Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 137 Abs.3 WRV den Religionsgemeinschaften und den ihnen zugeordneten Einrichtungen die Freiheit bei der Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze zusichert. Dasselbe gilt gemäß Artikel 140 GG i.V.m.Artikel 137 Abs.7 WRV für Weltanschauungsgemeinschaften.Daher erfasst die Regelung nicht nur die Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften selbst,sondern auch die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform,wenn die Einrichtungen der Religions-oder Weltanschauungsgemeinschaften nach deren Selbstverständnis ihrem Zweck und ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Religions-oder Weltanschauungsgemeinschaft wahrzunehmen und zu erfüllen (vgl.BVerfGE 70,138 (162);57,220 (242);53,366 (391);46,73 (85f.)).

Dabei sind die Begriffe der Ordnung und Verwaltung weit auszulegen.Dazu gehören etwa karitative Tätigkeiten, das kirchliche Dienst-und Arbeitsrecht,aber auch die Verwaltung des eigenen Vermögens.Nimmt eine Kirche,eine ihr zugeordnete Einrichtung oder eine Weltanschauungsgemeinschaft am privaten Rechtsverkehr teil,ist zunächst zu beurteilen,ob die in Frage stehende Tätigkeit zu ihren eigenen Angelegenheiten gehört oder nicht.Dabei ist das dem Tun zugrunde liegende Selbstverständnis der Kirche oder Weltanschauungsgemeinschaft entscheidend.Ist das Rechtsgeschäft karitativer Natur,so liegt die Bejahung der eigenen Angelegenheit nahe.Ist von einer eigenen Angelegenheit auszugehen,so ist das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zwar nur in den Schranken der für alle geltenden Gesetze gewährleistet. Darunter fallen aber nur die Gesetze,die für die jeweilige Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft dieselbe Bedeutung haben wie für jedermann (BVerfGE 66, 1,20).Dabei kommt dem Selbstverständnis der Gemeinschaft wiederum besonderes Gewicht zu (BVerfGE 66,1,22). Auch bei Nummer 4 handelt es sich um ein Regelbeispiel, das den Bereich des religiös oder weltanschaulich motivierten Handelns nicht abschließend normiert.Von dem Wortlaut des Regelbeispiels nicht erfasste sonstige religiös oder weltanschaulich motivierte Ungleichbehandlungen können daher im Einzelfall ebenfalls sachliche Gründe im Sinne des § 21 Satz 1 darstellen.

Dies bedeutet aber nicht,dass jedes religiöse oder weltanschauliche Motiv eine an sich nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verbotene Differenzierung rechtfertigt.Artikel 4 Abs.1 GG schützt das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, beispielsweise auch bei Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit.Der Metzger etwa,dem gesetzlich verboten wird, Fleisch von geschächteten Tieren zu verkaufen,kann seinen Beruf nicht mehr den islamischen Regeln entsprechend ausüben. Ein Verbot,Kundinnen ohne Kopftuch zu benachteiligen,würde dementsprechend nur dann den grundrechtlichen Schutzbereich betreffen,wenn sich der Metzger auf einen Glaubenssatz berufen könnte,der es ihm verbietet, Fleisch an Frauen zu verkaufen,die kein Kopftuch tragen.Den Metzger träfe insoweit die Darlegungslast (vgl.BVerwGE 94,82 ff.).Er müsste ernsthaft darlegen können,dass das Betreiben einer islamischen Metzgerei nicht nur die Einhaltung bestimmter Regeln bei der Schlachtung der Tiere,sondern auch eine bestimmte Auswahl der Kundschaft erfordert. Dabei genügte nicht die Berufung auf behauptete Glaubensinhalte und Glaubensgebote; vielmehr müsste ein Gewissenskonflikt als Konsequenz aus dem Zwang,der eigenen Glaubensüberzeugung zuwider zu handeln, konkret, substantiiert und objektiv nachvollziehbar dargelegt werden (vgl.BVerwGE 94,82 ff.).

Absatz 2 enthält eine besondere Bestimmung für private Versicherungsverträge nach § 19 Abs.1 Nr.2.Sie regelt, unter welchen besonderen Vorraussetzungen die Ungleichbehandlung wegen der in § 20 Abs.1 Satz 1 genannten Merkmale bei der Festlegung von Prämien und Leistungen durch die Versicherungen zulässig ist. Sind die Voraussetzungen von Absatz 2 erfüllt, bleibt bei der Vertragsgestaltung (insbesondere der Prämien- oder Leistungsbestimmung), aber auch bei der Entscheidung über den Vertragsschluss selbst,die Berücksichtigung der von diesem Gesetz erfassten Risiken möglich. Die Einbeziehung sämtlicher Privatversicherungsverträge (einschließlich ihrer Anbahnung,Durchführung und Beendigung) in den Anwendungsbereich des allgemeinen privatrechtlichen Benachteiligungsverbots soll vor Willkür schützen;sie soll aber nicht die auch im Interesse der Versicherten erforderliche Differenzierung nach dem ex ante beurteilten individuellen Risiko unmöglich machen. Diese Differenzierung nämlich gehört zu den Grundprinzipien der privatrechtlichen Versicherung.

Die Vorschrift unterscheidet dabei zwischen dem Merkmal Geschlecht als Risikofaktor bei der versicherungsmathematischen Kalkulation und den Merkmalen Religion oder Weltanschauung,Behinderung,Alter und sexuelle Identität. Im Hinblick auf das Merkmal Rasse und ethnische Herkunft ist es den Versicherungen dagegen einschränkungslos verboten, dieses als Risikofaktor zu verwenden.

Die Anforderungen an die Berücksichtigung des Geschlechts als versicherungsmathematisher Faktor sind in Satz 1 geregelt.Dieser greift die Formulierung in Artikel 5 Abs.2 Satz 1 der Gleichbehandlungsrichtlinie wegen des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt 2004/113/EG auf und setzt diese Bestimmung im Bereich des Versicherungsvertragsrechts um.Die Rechtfertigung der Berücksichtigung des Merkmals Geschlecht bei der Bestimmung von Prämien und Leistungen greift danach nur ein,wenn es sich bei dem Geschlecht um einen „bestimmenden Faktor“ bei der Risikobewertung handelt.Das Geschlecht darf also nicht nur ein Differenzierungskriterium unter vielen sein, sondern es muss sich um einen maßgeblichen Faktor bei der Beurteilung der versicherten Risiken handeln,wenn auch nicht unbedingt um den Einzigen. Dessen Heranziehung darf nicht willkürlich sein.

„Relevant “ und „genau “ sind hierbei nur Daten,die eine stichhaltige Aussage über das Merkmal Geschlecht als versicherungsmathematischen Risikofaktor erlauben.Die Daten müssen deshalb verlässlich sein,regelmäßig aktualisiert werden und auch der Öffentlichkeit zugänglich sein. Hiervon macht Satz 2 entsprechend Artikel 5 Abs.3 der erwähnten Richtlinie eine sozialpolitisch motivierte Ausnahme: Kosten,die im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung entstehen, dürfen nicht geschlechtsspezifisch in Ansatz gebracht werden. Die Norm folgt damit insoweit auch den Forderungen des Deutschen Bundestages, die im Entschließungsantrag vom 30.Juni 2004 niedergelegt sind (Bundestagsdrucksache 15/3477).

Satz 3 regelt die Voraussetzungen,unter denen Versicherungen die Merkmale Religion oder Weltanschauung,Behinderung,Alter oder sexuelle Identität als Risikofaktoren bei der Festlegung der Prämien und Leistungen heranziehen können. Diese muss auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruhen,insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen. Dem liegt der Gedanke zugrunde,dass als Risikomerkmale ohnehin nur solche Umstände geeignet sind,die zu vertretbaren Kosten statistisch erfassbar sind und einen deutlichen statistischen Zusammenhang mit der Schadenserwartung haben (Wandt, Geschlechtsabhängige Tarifierung in der privaten Kranken-
versicherung,VersR 2004,1341,1432).

Der Begriff „anerkannte Prinzipien risikoadäquater Kalkulation “ kann als eine Zusammenfassung der Grundsätze gesehen werden,die von Versicherungsmathematikern bei der Berechnung von Prämien und Deckungsrückstellungen an- zuwenden sind.Diese Grundsätze haben gesetzliche Grundlagen (z.B.§ 11 VAG,§ 65 VAG sowie aufgrund dieser Vorschrift erlassene Rechtverordnungen,§ 341f HGB für die Lebensversicherung).Es sind bestimmte Rechnungsgrundlagen,mathematische Formeln und kalkulatorische Herleitungen zu verwenden, wobei hierbei, falls vorhanden oder bei vertretbarem Aufwand erstellbar, auch statistische Grundlagen (z.B.Sterbetafeln) heranzuziehen sind. Ferner muss auf anerkannte medizinische Erfahrungswerte und Einschätzungstabellen der Rückversicherer zurückgegriffen werden. Insgesamt trifft die Versicherungen damit eine gesteigerte Darlegungs-und Beweislast.”

Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/017/1601780.pdf

Allgemeiner Tipp: Sittenwidrigkeit von Verträgen

Volljährige Menschen sind entweder voll geschäftsfähig oder stehen auf gerichtlichen Beschluß hin in Bereichen ihrer Entscheidungen unter Betreuung, wobei der Betreuer nach neuem Recht lediglich eine Art Kontrollinstanz darstellt.

Rechtlich geschäftsfähige Autisten sind jedoch wie alle Bürger nicht an jeden Vertrag gebunden, welchen sie aus Gutgläubigkeit unterschrieben haben. Im letzten Jahrzehnt hat sich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die praktische juristische Bedeutung des Begriffs der Sittenwidrigkeit verändert. Dies kommt auch vielen Nichtautisten zugute, welche z.B. wie im unten zitierten Beispiel wegen persönlichen Beziehungen unkritisch Bürgschaften für Kredite anderer übernommen hatten. Dies beschränkt sich jedoch nicht auf Bürgschafts- oder Kreditverträge.

Zitat aus einem beispielhaften Urteil des OLG Celle; Az. 3 W 119/05:

Zitat:
"Soweit das Landgericht im angefochtenen Beschluss Privatautonomie und Vertragsfreiheit und damit den Umstand, dass es der unbeschränkt geschäftsfähigen Person unbenommen bleiben müsse, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die sie schlechthin überfordern oder die von ihr nur unter besonders günstigen Bedingungen erbracht werden können, betont, so bestehen insoweit bereits Bedenken. Die Rechtsprechung besonders des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, der auch bei wirtschaftlich unsinnigen Bürgschaften naher Angehöriger die Privatautonomie betonte und eine Sittenwidrigkeit regelmäßig ablehnte (vgl. BGH, WM 1991, 1154, 1157), ist nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1993 (NJW 1994, 36) jedenfalls in weiten Teilen als überholt anzusehen; der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seine frühere Auffassung aufgegeben (WM 1994, 680, 682). Dass die Betonung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie in anderen Bereichen, etwa bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages wegen krasser finanzieller Überforderung eines echten Mitdarlehensnehmers weiterhin Geltung beanspruchen kann, steht einer abweichenden Beurteilung bei Bürgschaftsverträgen nicht entgegen.

Bei Austauschverträgen hängt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB wesentlich vom Ausmaß des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ab. Bei einseitig verpflichtenden Verträgen, insbesondere bei Bürgschaftsverträgen, bei denen eine Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB schon deswegen ausscheidet, weil es an einem Leistungsaustausch fehlt, tritt im Zusammenhang mit der Prüfung der Sittenwidrigkeit an die Stelle des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung die Frage nach dem krassen Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang einerseits und der Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner nahe stehenden Bürgen andererseits. Ein solches Missverhältnis begründet, wenn der Bürge dem Hauptschuldner aufgrund einer Ehe oder einer vergleichbaren engen Beziehung emotional verbunden ist und sich deshalb bei einer Bürgschaftsübernahme erfahrungsgemäß häufig nicht von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos leiten lässt, bei geschäftsungewandten ebenso wie bei geschäftsgewandten Personen ohne Hinzutreten weiterer Umstände die widerlegliche (§ 292 ZPO) tatsächliche Vermutung, dass das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.

[...]

Die widerlegliche Vermutung für die subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit setzt eine krasse finanzielle Überforderung des dem Hauptschuldner emotional verbundenen Bürgen voraus. Zur Beantwortung der Frage, ob eine krasse finanzielle Überforderung vorliegt, kommt es auf den maximalen Umfang der übernommenen Verpflichtung an, die (voraussichtliche) finanzielle Leistungsfähigkeit bzw. unfähigkeit des Bürgen sowie auf das Vorliegen anderweitiger Sicherheiten des Kreditgebers, falls diese Sicherheiten geeignet sind, das Haftungsrisiko des Bürgen tatsächlich zu begrenzen.

Hinsichtlich des ersten Aspektes ist zwar hervorzuheben, dass die Beklagte nur bis zum Betrag von 20.000 DM haftet. Daraus ergeben sich aber, wie auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen worden ist (Schriftsatz vom 18. Juli 2005), insoweit monatliche Zinsbelastungen in Höhe von 191,67 DM. Unter Zugrundelegung eines monatlichen Nettoeinkommens von - unbestritten - 1.243 DM ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin kein monatlicher pfändbarer Betrag in Höhe von 340,20 DM. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass die Beklagte ihrem 1990 geborenen Kind unterhaltspflichtig war und ist, sodass sich der pfändbare Betrag auf 74 DM und damit auf einen Betrag unterhalb der anfallenden Zinsen reduziert. Ist vor Übernahme der Haftung mithin davon auszugehen, dass die Beklagte mit Hilfe des pfändbaren Teils ihres Vermögens und Einkommens bei Eintritt des Sicherungsfalles voraussichtlich nicht einmal in der Lage sein würde, die auf die Bürgschaftsforderung entfallenden laufenden Zinsen auf Dauer aufzubringen, so war die Bürgschaftsverpflichtung wirtschaftlich unvernünftig und unsinnig.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die Unterhaltspflichten auch zu berücksichtigen.

[...]

Der Bundesgerichtshof hat wiederholt deutlich gemacht, dass seine Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Angehöriger bereits „bei nicht ganz geringen Bankschulden" Geltung beanspruchen (vgl. z. B. BGH, WM 2003, 2379, 2380, unter II. 1.). Der Senat sieht keine Veranlassung, den Versuch zu unternehmen, eine allgemeine Grenze insoweit zu bestimmen. Jedenfalls dann, wenn der Bürge nur über relativ geringfügige Einkünfte verfügt, ist auch eine Schuld von 20.000 DM in dem genannten Sinne als nicht ganz gering anzusehen."

Mehrkosten für barrierefreie Wohnung - SGB9 §55

Kürzlich lag der ESH ein Fall vor, dessen Konstellation uns auch neu war, obwohl andererseits nichts daran ungewöhnlich zu nennen ist.

Wenn ein Autist in einer Großstadt wohnt, weil für ihn als Faktor von Barrierefreiheit nicht nur die Ruhe maßgeblich ist, welche es in ländlicheren Gegenden gäbe, sondern auch die Anonymität, kann es passieren, daß man keine Wohnung in dieser Stadt mit Wohnberechtigungsschein erhält, welche einen eigenen nicht von so vielen Bewohner einsehbaren seperaten Außenzugang hat. Für die Person im Beispiel war es psychisch gesehen belastend nur über ein Treppenhaus in die eigene Wohnung zu gelangen, in welchem ständig die Gefahr lauert angesprochen oder seltsam angeschaut zu werden.

In diesem Fall lag auch ein Attest vor, das die medizinische Notwendigkeit eines eigenen Wohnungseingangs von der Hausaußenseite bescheinigte.

In konventionellen rollstuhlgerechten Wohnungen ist zwar häufiger ein seperater Außeneingang vorhanden, jedoch die Außengestaltung so vorgenommen, daß sie dem Bedürfnis von nichtautistischen Rollstuhlfahrern gerecht wird, nicht zu vereinsamen. Für diese Zielgruppe wird architektonisch also oft so geplant, daß sich verschiedene Bewohner öfters begegnen sollen. Etwas, das im Falle von Autisten, wie hier, ungünstig sein kann.

Wenn keine Wohnung und kein Haus passender Größe in der eigenen Stadt zum gewöhnlichen für ALG2- oder Sozialhilfe-Empfänger geltenden regionalen Miethöchstsatz auffindbar ist, welche diesem Aspekt der Barrierefreiheit genügt, sollten, sofern die Person geringes Einkommen und kein nennenswertes Vermögen besitzt, eventuelle dauerhafte Mehrkosten für passende Wohnungen auf dem regulären Wohnungsmarkt im Rahmen der Eingliederungshilfe gemäß SGB9 §55 übernommen werden. Dies gilt auch für Wohnungen, in welcher neben dem Autisten zudem Angehörige wohnen, z.B. Lebenspartnerin und Kinder.

Oft wird aber darauf verwiesen, daß für dauerhaft höhere Mietkosten die Träger von ALG2 oder Sozialhilfe zuständig seien und das je nach Sichtweise kann auch durchaus richtig sein, dazu siehe hier.

Zitat:
"§ 55 Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

  1. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden.
  2. Leistungen nach Absatz 1 sind insbesondere

[...]

  1. Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht,"

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__55.html

Zuständige Kostenträger sind je nach Region oft die Sozialämter (und das auch, wenn jemand keine Basis-Sozialhilfe bezieht).

Falls in solchen Fällen Probleme auftreten, da es sich bei geeigneten Wohnungen oft um "zufällige Barrierefreiheit" handelt, kann sich jederzeit an die ESH gewandt werden.

Freiheitsberaubung durch Psychopharmaka oder Unterbringung

Dieses Thema ist schwierig und wenn hierzu eine Interessenvertretung einer weithin stigmatisierten Bevölkerungsgruppe wie die ESH klare Position bezieht wird dies leicht als "hysterisch" empfunden oder gleichermaßen herablassend belächelt wie es auch gegenüber Autisten und ihren Interessensbekundungen generell immer wieder passiert, gerade wenn sie äußerlich seltsam wirken. Die meisten Mitmenschen sind sich über die Tragweite dieses Themas nicht ansatzweise bewußt, dies muß man wohl als Tatsache akzeptieren. Ebenso wie Haltungen der Art, daß alleine schon eine hergestellte Verbindung einer Person zu Psychiatrie nicht selten zu einer erheblichen Reduzierung der zwischenmenschlichen Achtung führt und das auch sehr oft gerade bei Personen, die nahezu täglich in diesem Bereich zu tun haben. Oft mitgetragenes Unrecht stumpft ab. Um eine kleine Einordnung zu ermöglichen seien zunächst einige Textpassagen von verschiedenen Internetseiten zitiert:

Zwangserleben hinterlässt meist tiefe Spuren an der Seele:

Zitat:
"Vor der Urteilsverkündung am 15. Juli 1988 sagte meine Frau, sie fühlt sich im Sinne der Anklage als nicht schuldig. Sie kann es als mündige Bürgerin der DDR nicht verstehen, dass ein Udo Lindenberg aus der BRD das Recht genießt, mit Herrn Honecker Briefe und Geschenke auszutauschen, und wir als mündige Bürger dieses Staates nicht das Recht haben, eine Antwort auf unser Ausreiseanliegen zu bekommen. Wir werden zu drei Jahren und zwei Monate Gefängnis verurteilt. Meine Frau kommt in das gefürchtete Frauenzuchthaus Hoheneck bei Stollberg im Erzgebirge und ich nach Brandenburg.
Wochenlang wartete ich auf ein Lebenszeichen von meiner Frau. Ich verstehe nicht, dass sie mir nicht antwortet. Drei Briefe im Monat dürfen wir uns schreiben. Schließlich am 1. September erfahre ich von einem Beamten, dass meine Frau mit einem Nervenzusammenbruch im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf liegt. Ich habe die Eltern von meiner Frau darüber informiert, sie wollen sie besuchen, sie werden abgewiesen. Erst zehn Tage später erhalten sie eine Erlaubnis meine Frau zu besuchen. Blass, abgemagert und ängstlich kommt sie auf ihre Eltern zu. Sie sagt immer „Mutti, ich habe alles falsch gemacht. Mutti, du ahnst nicht, was im Gefängnis los ist. Ich war mit Mörderinnen in einer Zelle, die mich beschimpft und bespuckt haben.“
Was ist mit ihr los, sie war doch immer so tatkräftig und optimistisch und nun steht sie zitternd vor ihnen. Sie sagt: „Am Anfang habe ich die Medikamente immer ausgespuckt, weil ich sonst nicht mehr klar denken konnte. Aber ich verspreche euch, ich nehme sie“. Sie stand unter Psychopharmaka. Nach neun Wochen kommt meine Frau als „gesunde Strafgefangene“ zurück ins Zuchthaus Hoheneck. Zuvor haben die Eltern meiner Frau in zwei Briefen den Chefarzt im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf Dr. Jürgen Rogge flehentlich gebeten sich ihrer Tochter anzunehmen und alles zu tun, um Haftverschonung für sie zu erreichen. Nicht einmal eine Antwort haben sie erhalten.
Im Frühjahr 1991 kann sich Dr. Rogge nicht mehr an meine Frau erinnern. Erst nach Einsicht der Akten kann er den „Fall“ beurteilen. Der Psychiater: „Bevor Frau Kersten zu uns verlegt wurde, erhielt sie in Hoheneck sehr hohe Dosen an schweren Psychopharmaka, die dreifache Menge dessen, was in akuten Erregungszuständen üblich ist. Sie hat sich schnell erholt". Einen Antrag auf Haftverschonung hätte er nicht begründen können. Sie war gesund. Sie musste zurück nach Hoheneck. Die Schuld trifft die Justiz.

Eine gebrochene Frau

Mitte November 1988 kommen meine Frau und ich in die Abschiebehaft der Stasi nach Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Wir sind von Bonn freigekauft worden. Ich darf ohne Aufsicht mit meiner Frau sprechen. Sie ist weggetreten und klagt immer nur: "Ich habe mein Land verraten. Ich habe alles falsch gemacht. Ich komme nicht rüber, die Kinder werde ich nie wiedersehen". Meine beruhigenden Worte erreichen sie nicht. Ich wiederhole was die Stasi versprochen hat: "Jessica und Mandy werden vor Weihnachten wieder bei uns sein."
Am 25. November 1988 werden wir noch mit acht anderen Häftlingen von zwei Stasi-Offizieren zum Bahnhof begleitet. Morgens um halb sieben setzt sich der Zug Richtung Gießen in Bewegung. "Wir fahren ohne die Kinder, ich kann mich noch gar nicht so richtig freuen ", sagt meine Frau. Im baden-württembergischen Kirchentellinsfurt kommen wir in einem Hotel unter, das Verwandten gehört. Unterdessen kümmert sich meine Mutter in Stendal um die Papiere der Kinder. Meine Mutter will die Kinder in ihre neue Heimat begleiten. Meine Frau muss sich in ärztliche Behandlung begeben, Dr. Braun diagnostiziert eine schwere reaktive Depression. Es gibt nur ein Heilmittel, dass schnelle Wiedersehen mit den Kindern. Meine Frau erzählt mir, dass sie vergebens darum gebeten hat, in eine andere Zelle verlegt zu werden. Aus Protest zerschlug sie einen Spiegel und wurde deshalb in eine Arrest-Zelle im Keller gesperrt und ans Bett gefesselt. Mit Spritzen und Tabletten wurde ihr Widerstand gebrochen.
Jeden Tag telefoniere ich mit meiner Mutter in Stendal. Dann die erlösende Auskunft: Am 18. oder 19. Dezember 1988 gehe es los. Die Kinder säßen schon aufgeregt auf ihren Koffern. Wieder ein Anruf, die Papiere der Kinder seien noch nicht fertig. Die Behörden versicherten, dass es endgültig am 21. Dezember klappe. Am späten Vormittag des 21. Dezember trifft aus Stendal ein Telegramm ein: Die Anreise am 21.12. nicht möglich, da Papiere noch nicht vollständig. Weihnachten ohne die Kinder. Meine Frau wird immer stiller. Ich versuche sie zu trösten, kann aber wenig helfen. Wir machen einen langen Spaziergang. Am Abend bemüht sich meine Frau ein festliches Essen zuzubereiten. Es ist gegen 22 Uhr, als sie sagt: „Ich gehe mal eben hoch.“ Zehn Minuten später will ich nach ihr sehen. Meine Frau ist aus dem Fenster im dritten Stock gesprungen. Sie ist
sofort tot."


Quelle: http://www.mdr.de/damals-in-der-ddr/ihre-geschichte/1542256.html

Solche Fälle in unserem aktuellen Staat geächteter und in breiter Weise als Unrecht erkannte Instrumentalisierung von Methoden der Psychiatrie veranschaulichen welche Folgen diese für Menschen haben können, die nicht nach heutigen Maßstäben psychisch auffällig wurden oder zu unfreiwilligen Minderheiten zählten. Diese Folgen sind jedoch gleichermaßen vorhanden bei solchen auch heute noch geringgeschätzten und oft weniger gewissenhaft behandelten Personengruppen.

Übersicht zu freiheitsentziehenden Maßnahmen:

Zitat:
"Beispiele für freiheitsentziehende Maßnahmen sind:

  • Anlegen von Hand- bzw. Fußfixierungen
  • Anlegen von Bauchgurten, wenn keine Möglichkeit für den Pflegebedürftigen besteht, diese selbst zu lösen oder lösen zu lassen
  • Fixieren von Pflegehemden
  • Aufstellen von Bettgittern
  • Sicherheitsgurt am Stuhl, wenn keine Möglichkeit für den Pflegebedürftigen besteht, diese selbst zu lösen oder lösen zu lassen
  • Ausübung psychischen Drucks
  • Wegnahme von Schuhen und Kleidung
  • Psychopharmakagabe ohne oder gegen den Willen des Pflegebedürftigen.

[...]
Zustimmung des Pflegebedürftigen zu einer freiheitsentziehenden Maßnahme
Eine freiheitsentziehende Maßnahme ist nicht widerrechtlich, wenn der Pflegebedürftige in die Maßnahme wirksam eingewilligt hat. Ein Pflegebedürftiger kann nur wirksam einwilligen, wenn er über den maßgeblichen natürlichen Willen verfügt und einsichtsfähig ist. Dabei kommt es nicht auf die Geschäftsfähigkeit, sondern auf die natürliche Einsicht- und Urteilsfähigkeit des Pflegebedürftigen an. Der Pflegebedürftige muss die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung erkennen können. Die Einwilligung bezieht sich jeweils auf die konkrete Situation. Der Pflegebedürftige kann die Einwilligung jederzeit widerrufen. Verliert der Pflegebedürftige infolge einer Erkrankung die natürliche Einsichtsfähigkeit, ist auch seine vorher gegebene
Einwilligung nicht mehr wirksam.
Die wirksame Einwilligung des Pflegebedürftigen sollte in der Pflegedokumentation festgehalten werden. In Zweifelsfällen kann es ratsam sein, vom behandelnden Arzt in regelmäßigen Zeitabständen die Einsichts- und Urteilsfähigkeit schriftlich bestätigen zu lassen.

Rechtfertigender Notstand

Freiheitsentziehende Maßnahmen können ausnahmsweise und für kurze Zeit unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 Strafgesetzbuch) zulässig sein, wenn keine Einwilligung zu erzielen ist. Dies trifft dann zu, wenn der Pflegebedürftige in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Körper, Freiheit oder Eigentum sich oder andere gefährdet. Ziel ist es dabei, die Gefahr von sich oder anderen abzuwenden. Dabei muss bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das Beeinträchtigte wesentlich überwiegen. Als Höchstgrenze einer Fixierung ohne richterliche Genehmigung ist die Frist nach § 128 Strafprozessordnung anzusehen, danach ist die richterliche Entscheidung spätestens am Tag nach dem Beginn der freiheitsentziehenden Maßnahme herbeizuführen."

Quelle: http://www.mdk.de/media/pdf/Anleitung_amb_10112005.pdf

Psychopharmakagabe kann eine freiheitsentziehende Maßnahme sein, also auch Freiheitsberaubung. Auch Angehörige können sich theoretisch strafbar machen und sich der Gefahr von Freiheitsstrafen aussetzen, wenn sie derartige Maßnahmen bei Autisten mittragen. Gerichte urteilen hierbei unterschiedlich. In vielen Fällen kommt es jedoch praktisch zu keiner juristischen Aufarbeitung, weil die jeweiligen Autisten unterschwellig und unausgesprochen allgemein oft als vogelfrei und minderwertiges Leben betrachtet werden und die Eigenvertretung auch in gerade den nicht seltenen Fällen von unverantwortlicher und dauerhaft schlechte nicht barrierefreie Lebensbedingungen verdeckender Vergabe von Arzneien durch ebendiese von Kindheit an beeinträchtigt wird. Zudem verstärken die oft erheblichen Nebenwirkungen das Bild einer Person, die "bematscht" ist, was dann jedoch oft wieder als Beleg für die davon unabhängige Verfasstheit einer Person betrachtet wird.

Zur weiteren Veranschaulichung ein Beispiel: Eine alte Person, die man zuhause bis ans Lebensende in ein Zimmer einsperrt kann ebenso schlecht eine Strafverfolgung in eigenem Interesse einleiten.

Auszüge aus der EU-Charta für autistische Menschen:

Zitat:
  1. "Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben in Freiheit ohne Furcht und ohne Bedrohung durch eine Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik oder eine andere geschlossene Anstalt.
  2. [...]

  3. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben ohne missbräuchlichen Einsatz von Medikamenten."

Quelle: http://auties.net/charta

Kurzer Anriß leider noch immer aktueller Zustände:

Zitat:
"Spätestens seit den 1968er Jahren gibt es auch in der Bundesrepublik so etwas wie eine Behinderten-Emanzipations-Bewegung: Einmal nehmen seither die Behinderten ihr Leben und die Vertretung ihrer politischen Interessen immer mehr in die eigene Hand; und zum anderen haben die Verantwortlichen für die Institutionen für Behinderte und Pflegebedürftige (also für Heime, Anstalten und Großkran-kenhäuser) mit der Deinstitutionalisierung begonnen, was sich in Verkleinerung, Dezentralisierung, Regionalisierung und teilweise auch Ambulantisierung ihrer Einrichtungen ausdrückt. Diese Feststellung ist wichtig; denn sie besagt, dass wir, auch die Institutions-Verantwortlichen (von den Heimleitern über die Wohlfahrtsverbände bis zu den Sozialministern) längst mit dem Prozess der Deinstitutionalisierung begonnen haben. Allerdings tun sie dies bisher nur halbherzig, nur so, dass es ihren gesund-egoistischen Interessen nicht weh tut, dass kein Heim in seiner Existenz bedroht ist, dass sie ihre Schmerzgrenze nicht überschreiten. Wenn ich also bei meinen zahlreichen Heim-Beratungen sehe, dass 20 % oder 40 % der Bewohner auf der Stelle in eine eigene Wohnung mit ambulanter Betreuung ziehen können und dass die Behinderung eines solchen Umzugs Freiheitsberaubung und Geiselnahme bedeutet, den Rechtsstaat verhöhnt, so gibt mir der jeweilige Heimleiter in der Regel zwar nicht öffentlich, wohl aber unter vier Augen sofort Recht. Nicht ohne hinzuzufügen: „Aber was soll ich denn machen, gehe ich mit der Belegung um 20 % herunter, ohne wieder aufzufüllen, kann ich Konkurs anmelden; damit alleingelassen, kriege ich das nicht hin.“ Und so muss man sich nicht wundern, dass trotz der gleichzeitig fortschreitenden Deinstitutionalisierung die Verheimung von Menschen weiter zunimmt, und zwar nicht nur der Pflegebedürftigen und Altersdementen (das wäre ja demographisch verständlich), sondern auch der Behinderten, was nach dem Bedarf völlig absurd ist. Dies bleibt aber zumindest so lange so, wie jeder clevere Unternehmer, wenn er nur ein paar formale Kriterien erfüllt, sich auf dem Markt des Heimwesens nach Belieben bedienen kann
und für den Bedarf selber sorgt – Rechtsstaat hin oder her.

[...]

Vergabe von Psychopharmaka in Heimen

Auf der einen Seite, und dies wäre einen eigenen Vortrag wert, ist es der Einsatz von Psychopharmaka. Ich erinnere mich schon lange nicht mehr an einen Heimbewohner, der diese Medikamente nicht erhalten würde. Dabei leiden sie zumeist nicht unter akuten psychotischen Störungen oder depressiven Symptombildungen, die einer Behandlung bedürften oder der Notwendigkeit einer gezielten Rezidivprophylaxe. Psychopharmaka in Heimen werden - dies ist jetzt eine verkürzte Darstellung – weitgehend eingesetzt zum Zwecke der Verhaltensmodifikation. Die Bewohner sind in der Enge des Heimes leichter handhabbar, bereiten geringere Schwierigkeiten und lehnen sich weniger gegen die Unterbringung auf. Dies ist eine Problematik, sicher nicht exklusiv für psychisch Kranke in Heimen, sondern sie trifft nach meinem Kenntnisstand – und hierüber gibt es einige Literatur – auch für andere Heimformen zu.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von Frau Wilhelm-Gößling aus Hannover über Neuroleptika in Pflegeheimen. Offensichtlich ist es schwer, in Heimen ohne exzessive Gaben von Psychopharmaka auszukommen. Dabei ist eine freie Arztwahl in der Regel eine Fiktion. In fast allen Einrichtungen gibt es enge Kooperationen zwischen Heim und psychiatrischen Kliniken bzw. dort tätigen Ärztinnen und Ärzten. In einem mir bekannten Heim wird die Arztwahl völlig aufgehoben, weil das Heim eigene Ärzte angestellt hat. Bereits in der Heimordnung wird der Zwang zur psychiatrischen Behandlung, das heißt auch zur Medikation festgeschrieben. Wenn ich die Klagen von Heimbewohnern, die mir im Laufe der Jahre zu Ohren gekommen sind, gewichten sollte, dann hielte ich diesen Aspekt der Zwangs- oder Beinahe-Zwangsmedikation für einen ganz zentralen."

Quelle: http://www.behindertenbeauftragter-niedersachsen.de/broschueren_bblni/pi...

Vergleichbar verantwortungs- und gedankenlos werden gerade frühdiagnostizierte Autisten dauerhaft mit Arzneien "versorgt". Auch nur die Zeit genauer nachzudenken "haben" Ärzte oft nicht. Solche Verschreibungen sind einfach, die realen Problemfelder im Lebensumfeld von Autisten auszumachen hingegen für NA wohl überhaupt nur teilweise möglich. Alle Personen im Umfeld von Autisten sollten daher stets wachsam bleiben und sich Rat bei anderen Autisten holen, z.B. in unseren Foren. Das sollte nicht nur immer erst passieren, wenn "die Hütte brennt". Wenn das der Fall ist sind oft schon derartig viele Dinge schiefgegangen, daß sich die Situation nur schwer und mit großer Ausdauer für alle Beteiligten (auch die um Rat ersuchten Autisten) halbwegs entwirren läßt. Zudem ist es nie gut für die Autisten und deren Vertrauen in ihr Umfeld, wenn man es überhaupt so weit kommen läßt.

Die Patientenverfügung als Absicherung der Selbstbestimmung

Volljährige selbstbestimmt lebende Autisten sind in Deutschland zum Glück nur in sehr wenigen Fällen von Zwang durch Ärzte betroffen. Deswegen war das Thema der Patientenverfügung lange Zeit nicht von besonderem Interesse. Nachdem jedoch vor einiger Zeit gerichtlich festgestellt wurde, daß es keine gesetzliche Grundlage für die Zwangsbehandlung Erwachsener gab (auch solcher nicht, die unter gerichtlich bestellter Betreuung lebten) war auch unser Interesse geweckt, da das selbstverständlich auch für Autisten zutraf, die bis heute in erschütternder Anzahl unter menschenunwürdigen Lebensumständen abgeschottet in Einrichtungen interniert sind - oft ohne selbst ernsthaft an der Entscheidung mitgewirkt zu haben.

Vor einigen Wochen nun hat die deutsche Regierung die Legalisierung der Zwangsbehandlung auf den Weg gebracht, obwohl dies ein eindeutigen Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention darstellt, was auch die Einschätzung des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist. Nach diesem erschütternden wie auch unnötigen Signal der deutschen Politik sehen wir einen geeigneten Anlaß die Patientenverfügung auch in diesem Rahmen zu empfehlen.

Informationen zum hier als Ausgangspunkt genutzten kostenlos verfügbaren aber zwecks Vermeidung von öffentlicher Begriffsverwirrung markenrechtlich geschützten Formular "PatVerfü" finden sich hier: http://www.patverfue.de/formular

Ein geeigneter einheitlicher Text bietet allen Nutzern den Vorteil, daß zu erwartende gerichtliche Entscheidungen relativ einfach auf eine große Anzahl von Nutzern übertragbar sind. Die PatVerfü ist also eine spezielle Version des rechtlichen Instruments "Patientenverfügung".

Warum also sollte ein Autist für sich eine Patientenverfügung erarbeiten?

Um sich vor willkürlichen Fehldiagnosen zu schützen, die leider im mehr und mehr profitorientierteren Klinikwesen immer öfter vorkommen. Die Medizin hat bei vielen Deutschen noch einen erstaunlich guten Ruf, wenn man die mittlerweile erdrückende Menge glaubhafter Informationen über Gleichgültigkeit, Korruption, mafiöse Praktiken von Pharmakonzernen einschließlich einer großen Anzahl von durch diese mit riesigem Aufwand geförderter parteiischer Gefälligkeitsforschung die bis hin auf die Diagnosekriterien Einfluß nimmt, etc. zur Kenntnis nimmt.

Es gibt gute Gründe zu dieser "Wissenschaft" auf Distanz zu gehen deren Praktiker erstaunlich oft vom für ihr Fach geltenden Diagnosesystem insgeheim selbst kaum überzeugt sind und Diagnosen mehr für die Abrechnung mit den Krankenkassen vergeben. Und sei es nur der, daß die Psychiatrie mitunter sehr leichtfertig mit Substanzen hantiert, die auch nur bei kurzer Einnahme schwerste dauerhafte Gesundheitsschäden zur Folge haben können und nachweislich die statistische Lebenserwartung massiv verkürzen.

Auch Personen die in irgendeiner Weise als lästig empfunden werden, können, wenn die unglücklichen Umstände sich aneinander reihen, ins Visier der Psychiatrie geraten, die seit ihrer Entstehung immer auch als Ordnungsmacht agierte, was heute allerdings den Menschenrechten nicht mehr entspricht. Der Fall Gustl Molath kann hier symbolisch als Beispiel für die bis heute vorliegende Problemlage dienen. Auch Autisten könnten theoretisch hiervon betroffen sein, wenn auch hier die Praxis eher Entwarnung gibt.

Aber viele Autisten möchten sich gerne sicher fühlen. Für diese Autisten ist die Patientenverfügung samt ihrer rechtlichen Grundlagen eine Möglichkeit dem eigenen Willen für die Zukunft Ausdruck zu verleihen.

Achtung, dieses Thema hat sich als besonders widerborstig erwiesen. Die ab hier folgenden Ideen stellen lediglich den aktuellen Stand dar und werden vermutlich in absehbarer Zeit noch genauer überarbeitet, wenn einige Überlegungen abgeschlossen sind. Daher dürfte es sinnvoll sein später nocheinmal auf dieser Seite nach dem Stand zu schauen.

Hinweis: Sollte eines der untenstehenden Module integriert werden, handelt es sich nicht mehr um eine Patientenverfügung der Einheitsvorlage "PatVerfü". In diesem Fall sind also die Teile der Vorlage zu entfernen, die die Patientenverfügung als "PatVerfü" kennzeichnen. Also insbesondere alles, was nach dem Satz: "Das Original des Attests befindet sich in meinen Unterlagen" im allerletzten Abschnitt steht, bitte löschen.

Da für Autisten mitunter spezielle Faktoren zu berücksichtigen sind, erwägen wir sinngemäß folgende zusätzliche Module, die ggf. auch in einem seperaten Zusatzdokument festgehalten werden könnten:

Zitat:
"Eine Patientenverfügung kann üblicherweise mündlich widerrufen werden. Diese Möglichkeit räume ich nicht ein, um mich gegen die Unsicherheit zu schützen im Zweifel eine Beweisführung über stattgefundene oder nicht stattgefundene mündliche Aussagen anzustellen. Zudem möchte ich solche Entscheidungen in Ruhe zuhause bedenken können und erkläre hiermit alle Aussagen, die ich eventuell tatsächlich unter äußerem Druck treffe für nichtig. Somit kann diese Patientenverfügung gemäß meines Willens nur gültig geändert werden, wenn ich einige Tage zuhause alleinegelassen wurde und ausgiebige Gelegenheit hatte mich mit Freunden und Vertrauten auszutauschen und dies durch mich selbst schriftlich geschieht. Die Béweispflicht hierfür liegt beim Behandelnden. Die möglichen Folgen entsprechen sämtlich ausdrücklich meinem Willen."

oder unter Nennung der Diagnose "Autismus"

Zitat:
"Eine Patientenverfügung kann üblicherweise mündlich widerrufen werden. Diese Möglichkeit räume ich nicht ein, um mich gegen die Unsicherheit zu schützen im Zweifel eine Beweisführung über stattgefundene oder nicht stattgefundene mündliche Aussagen anzustellen. Zudem möchte ich als Autist solche Entscheidungen in Ruhe zuhause bedenken können und erkläre hiermit alle Aussagen, die ich eventuell tatsächlich unter äußerem Druck treffe für nichtig, da ich mich aufgrund meiner autistischen Veranlagung, also meiner empfindlichen Sinneswahrnehmung, nur unter nach Maßgabe der Enthinderungsselbsthilfe von Autisten für Autisten - ESH ( http://autisten.enthinderung.de ) barrierefreien Rahmenbedingungen ausreichend konzentrieren kann. Auch ich als Autist habe das Recht Entscheidungen unter geeigneten Umständen zu treffen. Somit kann diese Patientenverfügung gemäß meines Willens nur gültig geändert werden, wenn ich einige Tage zuhause alleinegelassen wurde und ausgiebige Gelegenheit hatte mich mit Freunden und Vertrauten auszutauschen und dies durch mich selbst schriftlich geschieht. Die Béweispflicht hierfür liegt beim Behandelnden. Die möglichen Folgen entsprechen sämtlich ausdrücklich meinem Willen."

Zu erwägen wäre eine Liste von Vertrauenspersonen zu integrieren, von denen mindestens eine eine gültige Änderung der Verfügung bezeugen muß.

Die Patientenverfügung verbietet auch die psychiatrische Untersuchung in Hinblick auf eine Autismusdiagnose. Wenn bereits eine solche vorliegt, wird verboten den konkreten Zustand zu untersuchen. Eine vorhandene Autismusdiagnose für sich rechtfertigt bekanntlich keinen rechtlichen Zwang. Weitere frühere Feststellungen dürften formal gesehen nicht auf die Gegenwart übertragen werden. Das sollte bedacht werden, denn jeder Besuch beim Neurologen konterkariert die persönliche Patientenverfügung hin zur rechtlichen Frage: Gilt sie noch, wenn doch erwiesenermaßen nach dem angegebenen Datum freiwillig etwas gesucht und zugelassen wurde, das dem Verfügungstext widerspricht? Eine mögliche Lösung wäre die nochmalige Unterschrift an jedem Folgetag.

Alternativ kann in einer modifizierten Patientenverfügung natürlich auch ausdrücklich der Bereich der Autismusdiagnosen aus dem diagnostischen Verbotskatalog ausgeklammert werden.

Für diejenigen, die speziell Psychodrogen ablehnen und zu Recht ihre Folgen fürchten, beziehungsweise die fragwürdigen biologistischen Ansätze kritisch sehen, wäre ein weise formuliertes weltanschauliches Modul erwägenswert (Vorsicht, das kann auch nach hinten losgehen, wenn man einen Fehler macht!).

Beispielsweise könnte ein Christ soetwas ergänzen:

Zitat:
"In meiner festen persönlichen religiösen Überzeugung kann ich nicht anders als nach gewissenhaften Studium der Heiligen Schrift aus der Tatsache der Verdammung von φαρμακεια (pharmakeia) im griechischen Grundtext mehrerer Bibelstellen für mich die Gabe von pharmazeutischen Produkten gegenüber den Maßstäben der weltlichen Medizin auf einen weit geringeren Einsatzbereich zu begrenzen. Vor allem aus dem Galaterbrief Kapitel 5, Vers 20 ("Offenbar aber sind die Werke des Fleisches, welche sind: Hurerei, Unreinigkeit, Ausschweifung, Götzendienst, Pharmazie [häufig falsch mit "Zauberei" übersetzt], Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Spaltungen, Neid, Totschlag, Trunkenheit, Gelage und dergleichen, von denen ich euch vorhersage, gleichwie ich auch vorhergesagt habe, daß, die solches tun, das Reich Gottes nicht ererben werden.") ist klar zu entnehmen, daß Pharmazie nicht nur einfach kritisch betrachtet werden muß, sondern damit in Verbindung gebracht wird, daß jemand der solches tut nicht in das Reich Gottes eingeht. Dieser Zusammenhang ist in religiöser Hinsicht so schwerwiegend, daß es als auch mit Verweis auf die Religionsfreiheit als unzumutbar betrachtet wird nach den üblichen weltlichen medizinischen Gepflogenheiten behandelt zu werden.

Im Gebet bin ich so zu der Überzeugung gelangt, daß jede Anwendung pharmazeutischer Erzeugnisse im Fremdermessen von mir abgelehnt werden muß - mit Ausnahme von Körperpflegemitteln wie z.B. Seife und auf körperliche (nicht "seelische") Schmerzen zielenden Schmerzmitteln, wie sie beim Zahnarzt oder Krebspatienten mit starken körperlichen Schmerzen angewandt werden."

Kritische Anmerkungen und Alternativvorschläge sind willkommen.

Euroschlüssel

Zitat:
“Das Eurozylinderschloss und der Euroschlüssel stellen seit 1986 ein europaweit einheitliches Schließsystem für behindertengerechte Anlagen, die mittlerweile nahezu flächendeckend in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu finden sind, dar. Jeder, der im Besitz eines Euroschlüssels ist, kann diese Einrichtungen betreten und nutzen. Es handelt sich beispielsweise um Behindertentoiletten in Städten, öffentlichen Gebäuden, Bahnhöfen, Autobahnraststätten, Hochschulen, Freizeitanlagen, Kaufhäusern etc.”

Quelle: http://seh-netz.info/euroschluessel/index.php

Für Autisten könnte dieser Schlüssel nicht nur nützlich sein, um auf Reisen halbwegs streßfrei aufs Klo gehen zu können, sondern unter Umständen auch als Zugangsmittel zu meistens abgelegenen Räumen (und sei es ein Klo, das selten benutzt wird), in denen man sich gegebenenfalls eine Zeit erholen kann. Den Euroschlüssel können Autisten unter folgenden Bedingungen unter dem als Quelle genannten Link online für derzeit 18€ einzeln oder 25€ (Stand 2/08) zusammen mit einem Register der Toilettenstandorte bestellen:

Zitat:
“Auf jeden Fall erhalten Sie einen Schlüssel, wenn Sie einen GdB (Grad der Behinderung) von mindestens 70 im Schwerbehindertenausweis haben. Bei Vorliegen der Merkzeichen aG, B, H, oder BL erhalten Sie den Schlüssel unabhängig vom GdB.”

Quelle: http://www.cbf-da.de/

Sonderregelungen der Fluggesellschaften für Autisten

Aktuell gibt es aufgrund von Anschlagsbefürchtungen Begrenzungen für die Mitnahme von Flüssigkeiten im Flugverkehr. Dabei gibt es für autistische Passagiere Ausnahmen, die in den Bestimmungen der Fluglinien scheinbar teilweise auch nachzulesen sind. Auch allgemein sollte dies als Beispiel dafür genommen werden können, daß der genannte Aspekt der Barrierefreiheit (Mitnahme von vertrauten Nahrungsmitteln, wie Getränken) als "medizinisch begründet" oder "medizinisch notwendig" im Sinne solcher Bestimmungen bezeichnet werden kann, auch wenn in Bestimmungen Autisten nicht als Beispiel genannt werden:

Zitat:
"Erlaubte Ausnahmen gelten

[...]

wenn die Flüssigkeit während der Reise verbraucht wird und entweder für medizinische Zwecke oder aufgrund einer speziellen Diätserfordernis notwendig ist - dazu gehört auch Babynahrung. Reisende haben gegen Aufforderung die Authentizität der mitgebrachten Flüssigkeiten zu beweisen.

  1. Die Flüssigkeit wird während der Reise verbraucht, bezieht sich auf die gesamte Reise des Passagiers und ist nicht an die Dauer des Fluges gekoppelt. Ein Passagier, der einen einstündigen Flug nutzt, hat die Erlaubnis, Medikamente in der Menge von mehr als 100 ml oder die nicht im Beutel Platz haben, mitzunehmen (diese Menge reicht auch für eine längere Reise aus); falls der Reisende nicht das Risiko auf sich nimmt, diese Medikamente im registrierten Gepäck zu transportieren. SWISS empfiehlt, diese Auflage je nach persönlicher Situation grosszügig auszulegen.
  2. Die Flüssigkeit ist für medizinische Zwecke notwendig, bezieht sich auf flüssige Medikamente, die entweder ärztlich verschrieben oder rezeptfrei gekauft sind. Grundsätzlich sind Einschränkungen für rezeptfreie Medikamente (z.B. Nasensprays, Hustensaft, Lösungen für Kontaktlinsen) über die erlaubte Menge hinaus restriktiver, da diese nicht als 'überlebenswichtige“ Medikamente gelten.Zusätzlich sind auch Flüssigkeiten, die keine Medikamente aber für medizinische Zwecke notwendig sind, als Handgepäck erlaubt - Beispiele: Eis (für die Kühlung von z.B. Organen zur Transplantation eingesetzt), Blut oder Blutprodukte sowie 'normale' Flüssigkeiten, wenn deren Gebrauch medizinisch begründet ist (z.B. ein autistischer Passagier 'braucht' seine eigene Colamarke)."

Quelle: http://www.swiss.com/web/DE/services/baggage/carryon_baggage/Pages/faq.aspx

Gelbe Armbinde als Enthinderungssignal im Straßenverkehr?

Fast jeder kennt sie, die gelben Armbinden mit drei schwarzen Punkten. Viele glauben, daß es sich für ein spezielles Zeichen für Blinde handelt, doch das stimmt nicht (Zitat FeV):

Zitat:
“§ 2 Eingeschränkte Zulassung

  1. Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, daß er andere nicht gefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge, namentlich durch das Anbringen geeigneter Einrichtungen an Fahrzeugen, durch den Ersatz fehlender Gliedmaßen mittels künstlicher Glieder, durch Begleitung oder durch das Tragen von Abzeichen oder Kennzeichen, obliegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwortlichen.
  2. Körperlich Behinderte können ihre Behinderung durch gelbe Armbinden an beiden Armen oder andere geeignete, deutlich sichtbare, gelbe Abzeichen mit drei schwarzen Punkten kenntlich machen. Die Abzeichen dürfen nicht an Fahrzeugen angebracht werden. Blinde Fußgänger können ihre Behinderung durch einen weißen Blindenstock, die Begleitung durch einen Blindenhund im weißen Führgeschirr und gelbe Abzeichen nach Satz 1 kenntlich machen.
  3. Andere Verkehrsteilnehmer dürfen die in Absatz 2 genannten Kennzeichen im Straßenverkehr nicht verwenden.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/fev/__2.html

Es kann für Autisten aus verschiedenen Gründen von Vorteil sein, wenn in manchen Situationen offen erkenntlich ist, daß beispielsweise nicht alles was passiert auch sicher erfasst wird. Und genau das wird in der Öffentlichkeit mit diesem Zeichen gemeinhin am meisten verbunden. Die Beschränkung auf körperlich Behinderte und Blinde, kann man wohl etwas flexibel deuten, denn Autismus ist bekanntlich auch körperlich zu nennen und hat vor allem nicht selten eindeutige Relevanz in Bezug auf den Straßenverkehr.

Letztlich muß die Verwendung dieses Zeichens in verschiedenen möglichen Formen (z.B. auch als Anstecker) jeder Autist für sich selbst entscheiden und verantworten. Eine gezielte Anwendung beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann ohne verbale Erklärung im Zweifel angemessenere Reaktionen und Verständnis erwirken. Andererseits sind Probleme durch aufdringliche ungefragte Hilfsbereitschaft möglich. Probieren geht über studieren.

Bewerbungsgespräche und Autismus

Immer wieder gibt es die Frage, ob man als Autist einen Schwerbehindertenstatus bei einer Bewerbung angeben muß oder es sollte. Man muß nicht, spätestens seit dem AGG:

Zitat:
"Im Vorstellungsgespräch gibt es viele Fragen, die nicht mehr gestellt werden dürfen. So dürfen weibliche Bewerber nicht nach einer vorliegenden oder gewünschten Schwangerschaft gefragt werden, unzulässig sind auch Fragen nach der Religion, wenn es keinen Zusammenhang mit der auszuübenden Berufstätigkeit gibt. Gleiches gilt übrigens auch für Vorstrafen. Bewerber dürfen zudem auch nicht mehr danach gefragt werden, ob sie Betriebsrat- oder Gewerkschaftsmitglied sind.

Und ganz wichtig: Auch die Frage nach früheren Krankheiten ist tabu, bzw. nur in etwa folgender Form zulässig: ‚Leiden sie derzeit an einer Krankheit, die es ihnen unmöglich macht, die Tätigkeit auszuführen bzw. mit der sie andere Mitarbeiter anstecken könnten?‘. Für die Zukunft gilt wohl, dass auch die Frage nach einer Schwerbehinderung nicht mehr gestellt werden darf.

Was mache ich als Bewerber, wenn im Vorstellungsgespräch eine der unzulässigen Fragen gestellt wird, beispielsweise nach meiner Religionszugehörigkeit?

Kurze Antwort: Lügen Sie! Wenn Sie bei einer unzulässigen Frage sagen würden, dass sie darauf nicht antworten, dann wäre doch klar, was los ist. Da unzulässige Fragen aber nicht unter die Offenbarungspflicht fallen, spricht man hier vom Recht auf Lüge."

Quelle: http://www.absolventa.de/blog/arbeitsrecht-1-berufliche-fortbildung-schu...

Diskriminierungsfreie Begutachtung

Einleitung

Das Prinzip des Universellen Designs, wie etwa in der UN-Behindertenkonvention vorgesehen ist im Alltag noch kaum umgesetzt, weswegen im Rechtssystem noch weitgehend Formen der Begutachtung bei Fragen der Gewährung von Aspekten von Barrierefreiheit oder Nachteilsausgleichen (eine Art "Trostpreis" für bestehende gruppenbezogene Diskriminierungen, die direkt nicht beseitigt werden, obwohl darauf eigentlich ein Recht bestehen würde) verbreitet sind. Diese Praxis ist allgemein an sich als diskriminierend zu betrachten, da sie fast immer dazu führt, daß gerade ohnehin diskriminierte Personengruppen sich ständig mit entwürdigenden Verfahren konfrontiert sehen, in denen geklärt werden soll, ob sie tatsächlich sind was sie sind.

Um unter diesen Umständen derartige Begutachtungen, solange sie nicht prinzipiell weitgehend überwunden sein könnten, möglichst erträglich zu gestalten sollen hier einige Hinweise erfolgen.

Was ist eigentlich ein Gutachter? Das heute noch übliche Gutachtersystem geht zurück auf die Wertung von Zeugenaussagen als Beweis vor Gericht. Die Aussage eines vermeintlich fachkundigen Zeugen wird vor Gericht und in manchen Verwaltungsverfahren wie ein Tatsachenbeweis behandelt. Gutachten sind immer dann gefragt, wenn der Richter oder sonstige Entscheider sich nicht zutraut einen Sachverhalt selbst gut genug zu beurteilen. Das Gutachten soll ihn den vorliegenden Sachverhalt erklären, um ihm bei seiner Entscheidung zu helfen.

Geht es um einen Sachverhalt wie die Prüfung einer statischen Berechung der Eigenschaften eines eingestürzten Gebäudes wird der Gutachter seinen Rechenweg darlegen. Diese Art von Gutachten sind relativ gut objektiv nachprüfbar. Es gibt allerdings auch Gutachtenthemen, die anders strukturiert sind, wie etwa die psychische Einschätzung von Menschen. Solche Einschätzungen beruhen letztendlich meistens auf direkten Begegnungen mit der zu begutachtenden Person und daraus gewonnenen subjektiven Eindrücken. Weil gerade in diesem Bereich Gutachter ungerne diese Bewertungsgrundlagen dokumentieren lassen, die ihre oft lukrative Arbeit weit mehr hinterfragbar machen und oft zunächst sehr freundlich versuchen dieses Anliegen auszureden ist es sehr wichtig darauf zu bestehen, daß dies geschieht. Denn nur so ist es möglich wie bei der oben genannten statischen Berechnung den Rechenweg des Gutachters später nachvollziehen zu können, also die möglichst weitgehend in Ton und Bild dokumentierte Situation, die dieser Gutachter beurteilte.

Ein deutscher Richter kann jedermann zum Gutachtenzeugen ernennen. Gerade im Psychobereich ist der Grad von Objektivität von gutachterlichen Eindrücken besonders schlecht, da die wissenschaftliche Aussagekraft, die Evidenz und objektive Vergleichbarkeit von Psychodiagnosen bis heute erschreckend schlecht ist. Hier lauert also ein von vielen diesbezüglich unerfahrenen Menschen weit unterschätzes Risiko, das falsch einzuschätzen gravierendste Folgen nach sich ziehen kann. Hier eine beispielhafte Medienreferenz:

Zitat:
In Deutschland darf sich jeder Gutachter nennen. Und ein Gericht darf wegen der richterlichen Unabhängigkeit jeden zum Gutachter oder Sachverständigen ernennen, wie beispielsweise an Familiengerichten. "Wenn der Richter meint, seine Oma sei sachkundig und der Richter sie bestellt, dann ist sie sachkundig", sagt Elmar Bergmann, ein pensionierter Familienrichter.

Bundesweite, einheitliche Mindeststandards für Gutachten, beispielsweise an Familiengerichten, gibt es nicht. Studien belegen: Die Qualität vieler dieser Gutachten ist ungeheuerlich schlecht. Die Auswirkungen für die Betroffenen können katastrophal sein.

Dass die Qualität von Gutachten auch desaströs sein kann, merken Richter häufig nicht. Der pensionierte Familienrichter Elmar Bergmann hat dafür eine einfache Erklärung: "In aller Regel wird die Zusammenfassung gelesen und damit hat es sich. Und das wird auch übernommen." Dabei müsse der Richter eigentlich jede Seite des Gutachtens überprüfen.

[...]

Richter entscheiden, fällen Urteile und sprechen Recht. So soll es sein. Doch sie verlassen sich nicht immer auf ihre eigene Urteilskraft - die Entscheidung scheint der Gutachter zu fällen. Egal ob in Strafprozessen, in Familiensachen oder auch bei einfachsten Verkehrsdelikten. Eigentlich sei der Gutachter ein Gehilfe des Richters, sagt Elmar Bergmann: "Tatsächlich ist es aber so, dass Richter sagen: Sachverständiger, mach Du mal, mach mir mal Entscheidungsvorschläge."

Und der Vorsitzende Richter des 2.Strafsenats am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, sagt: "Natürlich ist es eine Erleichterung für die eigene Entscheidung und natürlich aber auch eine Erleichterung für die eigene Verantwortung." So schaffen Gutachter nicht nur Fakten für den Richter, sondern werden dadurch selbst de facto zu Richtern.

Doch wie können überflüssige Gutachten verhindert werden? Wie kann die Qualität der Gutachter und der Gutachten garantiert werden? Wie stellen Richter sicher, dass sie Mängel in Gutachten erkennen? Der Deutsche Richterbund, die größte Vertretung von Richtern in Deutschland, sieht keinen Handlungsbedarf.

Andrea Titz, stellvertretende Vorsitzende des Richterbundes, sagt, dass der Richterbund sich nicht explizit mit der Problematik befasse, "weil es kein manifestes Problem ist". Vielmehr würden die Richter verantwortungsvoll mit Gutachten umgehen und diese auch überprüfen - "im Rahmen ihrer Möglichkeiten aber natürlich nur".


Quelle: http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2013/gutachter103_page-1.html

Barrierefreiheit

Häufiges Thema bei Begutachtungen ist die Barrierefreiheit der Begutachtungssituation. Hierzu ist allgemein sicherlich hilfreich zunächst zu erwähnen, daß eine Begutachtung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens immer auch hinterfragt werden darf und der Gutachter sein Gutachten erläutern muß:

Zitat:

  1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfaßt grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger.
    1. Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht des Gerichts abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, NJW-RR 1987, S. 339 <340>; BGH, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, daß die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten könnten (BGH, NJW-RR 1987, S. 339 <340>). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmißbräuchlich gestellt wurde (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, NJW 1983, S. 340; BGH, NJW-RR 1987, S. 339 <340>; BGH, NJW 1997, S. 802 <802 f.>).

Quelle: BVerfG 1 BvR 909/94; http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk19980203_1bvr090...

Konkret umfasst die Barrierefreiheit auch im Rahmen einer Begutachtung an sich die Möglichkeit zu fernschriftlicher Kommunikation mit dem Gutachter (im Vorfeld und danach), da Kommunikation allgemein üblich ist, Mißverständnisse vermeiden hilft und es eine diskriminierende Benachteiligung wäre. Es ist nicht ausreichend, einem Autisten schriftliche Kommunikation vor Ort anzubieten, weil dadurch die Grundproblematik der Reizüberflutung nicht beseitigt wird.

Begleitperson

Wenn ein Autist eine Begleitperson zur Begutachtung mitnehmen will, dann darf ihm dies nicht ohne Weiteres verwehrt werden. Mögliche Begründungen gibt es viele, so etwa die Belastung durch die nicht barrierefreie Begutachtungssituation, die einen Ausgleich der situativen Unsicherheit durch die Mitnahme einer vertrauten Person rechtfertigt, die z.B. auch unzumutbare Details abwehren könnte. Wird die Begleitung in allen Phasen einer Begutachtung pauschal verweigert, so sollte die Begutachtung verweigert werden, da sonst rechtliche Nachteile im jeweiligen Verfahren entstehen können. Hier sei aus dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz L 5 KR 39/05 zitiert:

Zitat:
Die MDK-Gutachter Dr. R und Dr. K waren nicht berechtigt, ohne hinreihende Begründung die Anwesenheit des Sohnes der Klägerin bei der persönlichen Untersuchung zu untersagen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des 4. Senats des LSG Rheinland-Pfalz (23.2.2006), die sich auf im Gerichtsverfahren eingeholte Gutachten bezieht, und überträgt sie auf Gutachten im Verwaltungsverfahren. Ebenso wie im Gerichtsverfahren gibt es keinen Grund für einen generellen Ausschluss von Vertrauenspersonen des zu Untersuchenden von der Anwesenheit bei der Begutachtung. Aus Gründen des fairen Verfahrens muss es dem Probanden grundsätzlich erlaubt sein, eine Person seines Vertrauens an der Untersuchung, der Anamnese und den Unterredungen mit dem Gutachter teilnehmen zu lassen (LSG Rheinland-Pfalz 23.2.2006 a.a.O.). Dem Gutachter muss es allerdings in solchen Situationen freistehen, ebenfalls eine Person seines Vertrauens (z.B. eine Hilfsperson) hinzuzuziehen, um sich notfalls gegen unzutreffende Behauptungen des Probanden wehren zu können. Der Gutachter kann ausnahmsweise der Anwesenheit einer vom Probanden gewünschten Vertrauensperson widersprechen, wenn er einen plausiblen Grund hierfür anführt. Ein solcher kann zB bei psychiatrischen Gutachten die Notwendigkeit sein, die Anamnese und die Untersuchungen unbeeinflusst durch Dritte zu erheben.

[...]

Falls Dr. K der Klägerin keinen ausreichenden Grund für seine Ablehnung, die Anwesenheit einer Vertrauensperson zu dulden, angegeben haben sollte, war die Klägerin berechtigt, die Untersuchung, durch diesen Arzt zu verweigern.

[...]

Falls Dr. K der Klägerin keinen ausreichenden Grund für seine Ablehnung, die Anwesenheit einer Vertrauensperson zu dulden, angegeben haben sollte, war die Klägerin berechtigt, die Untersuchung, durch diesen Arzt zu verweigern. Entsprechendes gilt für Dr. R . Dessen Untersuchungsergebnis ist jedoch ungeachtet dessen nicht unverwertbar. Ob ein Verstoß gegen die einzuhaltenden Regeln bei der Beweisaufnahme zu einem Beweisverwertungsverbot führt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BSG 15.2.2005 – B 2 U 3/04 R, BSGE 94, 149). Grundrechtsverstöße ziehen idR ein Beweisverwertungsverbot nach sich, reine Verfahrens- oder Formverstöße jedoch nicht (a.a.O.). Ein Grundrechtsverstoß ist im Falle der Klägerin nicht gegeben. Bei der erforderlichen Interessenabwägung kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass das Interesse an einer Verwertung des Gutachtens von Dr. R höherrangig ist als das Interesse der Klägerin an einer Unverwertbarkeit.

Quelle: http://www3.mjv.rlp.de/rechtspr/DisplayUrteil_neu.asp?rowguid={DFF7C5B2-5D32-4C7D-9552-6360CF2CE068}

Bei Autisten wäre weiter zu bedenken, daß eine Begründung in der Begutachtungssituation zu spät erfolgen dürfte, da einem Autisten aufgrund der barrierelastigen Situation vor Ort gar nicht zuzumuten ist zu erwägen, ob eine Begründung ausreichen dist oder nicht. Deswegen sollte eine solche Einschränkung rechtzeitig im Vorfeld mitgeteilt werden, wenn die Begutachtung nicht von vorneherein verweigerungswürdig sein soll. Hierüber ist uns allerdings noch keine klare spezifische Rechtsprechung bekannt.

Aus dem Zitat ergibt sich, daß in diesem Fall ein Gutachten als verwertetungsfähig eingestuft wurde, bei dem die begutachtete Person lediglich protestiert, aber nicht die Begutachtung verweigert hatte. Dies veranschaulicht sehr deutlich, daß man unbedingt solchen Umstände verweigern und den Ort physisch verlassen sollte, statt sich bequatschen zu lassen. Wie so oft kann Gutmütigkeit hier wieder einmal rechtliche Nachteile mit sich bringen.

Wer sich für die möglichen Kriterien für Ausnahmen bei psychiatrischen Begutachtungen interessiert, kann sich den Urteilsvolltext anschauen. Allerdings ist hier durchaus fraglich, ob Autisten in diese Kategorie fallen, da es bei Begutachtungen von Autisten wohl nahezu nie um "peinliche Themen" geht oder um Begleitung von Personen in psychotischem Zustand, die dies später bereuen könnten (aber dies dürfte nach aktuellen Stand der menschenrechtlichen Normen wohl voraussetzen, daß jemand in der Begutachtungssituation als nicht zurechnungsfähig betrachtet betrachtet werden darf). Zudem ist Begleitung auch in der Teilfunktion als Assistenz gerade speziell bei Autisten wegen verbreiteter Barrieren geboten.

Bei einer Verweigerung des Zugangs für Zeugen darf man wohl allgemein auch im Verfahren offen die Frage stellen, ob denn der Gutachter etwas zu verbergen hat. Auch als Zeuge ist eine Begleitung unter Umständen sinnvoll, denn es kommt immer wieder vor, daß Gutachter Angaben machen, die schlichtweg falsch sind, die entweder auf Mißverständnissen beruhen (z.B. Interpretation nach nichtautistischer Art vom Autisten direkt und wörtlich gemeinter Aussagen und Wiedergabe dieser Interpretation, statt der wörtlichen Aussage, Mißverständnisse wegen unterschiedlicher Veranlagung in der Körpersprache) oder völlig frei erfunden scheinen und eventuell manchmal auf Personenverwechslungen überlasteter Gutachter zurückzuführen sind.

Sachlich ist zudem immer im Bereich des Autismus die Frage interessant inwieweit sich ein Gutachter wirklich mit Autismus auskennt. Allgemeine Gutachter haben oft kaum korrekte Kenntnisse und können daher auch nicht unbedingt qualifiziert begutachten. Das gilt für offensichtliche Extremfälle wie die Begutachtung psychischer Sachverhalte durch einen Orthopäden, jedoch auch für Psychiater und Neurologen ohne spezielle Kenntnis zu Autismus. Generell ist es immer sinnvoll einen Gutachter danach zu fragen, was für ein Arzt er ist oder was für eine Ausbildung er sonst vorweisen kann. Ärzte, die schon länger ihr Studium beendet haben, haben mit noch viel höherer Wahrscheinlichkeit kaum mehr als schemenhaftes und im Grunde unbrauchbares Wissen zu Autismus. Ein Gutachter muß jedoch im entsprechenden zu begutachtenden Fall kompetent sein.

Persönliche Uneignung von Gutachtern

Es kommt vor, daß das charakterliche Verhalten von Gutachtern ziemlich autistenuntauglich ist (z.B. schnelles reden, hektische Bewegungen, schwammige Formulierungen). Dies kann deutliche Auswirkungen auf Begutachtungsergebnisse in beide Richtungen haben. Auch hieran sollte man in diesen Situationen denken. Gerade unter solchen Umständen sind auch die obigen Punkte ganz besonders wichtig.

Penible Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen

Leider mußten wir in der Praxis die Erfahrung machen, daß immer wieder Gutachter nicht nur kaum fundierte Kenntnisse zu Autismus besitzen, sondern aus welchen Motiven auch immer regelrecht übergriffig werden. In einem Extremfall kam es trotz ausdrücklichen Hinweises einer Begleitperson auf besondere Berührungsempfindlichkeit zu einer vielleicht sadistisch motivierten Handlung. Die umgehend gemachte Strafanzeige gegen den Gutachter wurde von der Staatsanwaltschaft abgetan und zwar weil ihr die Zeugenaussage der Begleitperson nicht ausreichte und der Gutachter selbst bestritt belehrt worden zu sein. Dies ist neben der oben ausgeführten grundsätzlichen Notwendigkeit ein weiterer Anlaß den Kontakt mit dem Gutachter möglichst lückenlos zu dokumentieren.

Aus dieser Fallkonstellation müssen wir schlußfolgern, daß es zum Selbstschutz vor z.B. fremdenfeindlichen Übergriffen bei amtlichen Begutachtungen nicht ausreicht eine Begleitperson mitzunehmen. Zum Selbstschutz sind somit weitere Maßnahmen nötig wie etwa die lückenlose Dokumentation der Begutachtung selbst wie auch vorhergehender Belehrungen und Kontakte auf Video. Dabei ist besonders auch die zu begutachtende Person zu filmen, eher am Rand der Gutachter. Wichtig ist, daß auch Dritte möglichst genau erleben können aufgrund welcher Begebenheiten er zu seinen Einschätzungen gelangte. Sonst bleibt dem Gutachten immer ein Zweifel anhaften: „Wer weiß, was bei dem Treffen passiert ist.“ Optimal wäre sicherlich der Einsatz mehrerer Kameras neben der ggf. ebenfalls zur Sicherheit redundanten Tondokumentation. Dies sollte dem Gutachter vorher angekündigt werden. Lehnt der Gutachter die Umsetzung dieser Selbstschutzmaßnahme ab, sollte der Gutachter deswegen abgelehnt werden. Kein seriöser Gutachter wird Probleme damit haben seine Ausführungen und sein Handeln durch eine solche Dokumentation überprüfbar zu machen.

Das OLG Hamm hat in seinem Beschluß Az. 14 UF 135/14 vom 03.02.2015 zur Begleitperson und Tonbandaufnahme (ohne Autismusbezug, welcher eine Videoaufzeichnung wegen abweichender Körpersprache, etc. deutlich relevanter werden läßt) klargestellt:

Zitat:
Ausschlaggebend ist dabei vor allem der Gesichtspunkt, dass ein medizinisch oder psychologisch zu begutachtender Beteiligter ansonsten keine Möglichkeit hätte, gegenüber abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Behauptet er nach Vorliegen des Gutachtens, der dort wiedergegebene Hergang einer Untersuchung oder eines Explorationsgesprächs sei in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, so wird sich der Sachverständige in der Regel darauf berufen, den Hergang nach seiner Überzeugung und Erinnerung richtig aufgezeichnet zu haben. Wenn die Unrichtigkeit der Wiedergabe dann nicht ausnahmsweise durch objektive Anhaltspunkte gestützt wird, hat der Beteiligte keine Möglichkeit, sie zu belegen und sich damit erfolgreich gegen ein ihm nachteiliges Gutachtenergebnis zu wenden. Die Hinzuziehung einer Begleitperson hingegen erlaubt es ihm in diesem Fall, mit Aussicht auf Erfolg einen Zeugenbeweis anzutreten. Gegenüber diesem wesentlichen Verfahrensgesichtspunkt muss die Besorgnis einer etwaigen Beeinflussung des Untersuchungsganges – speziell im psychiatrischen und psychologischen Bereich – durch die bloße Anwesenheit der Begleitperson in einer angemessenen Hörweite hingenommen werden. Falls der Sachverständige nach der Untersuchung zu der begründbaren Auffassung gelangen sollte, dass eine Beeinflussung erfolgt sei und das Untersuchungsergebnis deshalb eine geringere Aussagekraft habe als wenn es ohne Begleitperson gewonnen worden wäre, kann er dies in seinem Gutachten darlegen, ebenso wie er es tun müsste, wenn die Aussagekraft durch eine gänzliche Weigerung, sich begutachten zu lassen, oder durch sonstige fehlende Tatsachengrundlagen herabgesetzt wäre. Die Würdigung hätte dann letztlich das Gericht vorzunehmen.

Nicht zu gestatten ist hingegen einer mitgebrachten Begleitperson, sei es dem anwaltlichen Bevollmächtigten oder einem Privatgutachter, eine Beteiligung an dem Untersuchungsgespräch durch Fragen, Vorhalte oder sonstige Äußerungen. Hierdurch wäre bei einer medizinischen oder psychologischen Untersuchung, anders als z. B. bei einem baurechtlichen Ortstermin, eine erhebliche Störung der Untersuchung und auch Beeinflussung ihres Ergebnisses zu befürchten, wohingegen die Rechte des zu Begutachtenden in diesem Punkt durch die Möglichkeit nachträglicher schriftlicher Stellungnahmen und/oder einer mündlichen Befragung des Sachverständigen im Gerichtstermin hinreichend gewahrt sind.

Deshalb hat der Senat die Sachverständige zur Zulassung einer sich am Gespräch nicht beteiligenden Begleitperson angewiesen. Sofern sie allerdings noch zu einem Einvernehmen mit dem Antragsgegner darüber gelangen sollte, dass eine Tonaufzeichnung der Anwesenheit einer Begleitperson vorzuziehen ist, weil dies zu einer noch geringeren Beeinträchtigung des Explorationsergebnisses führt und die Begleitperson ohnehin kein Beteiligungsrecht hat, wäre der Weisung des Senats auch durch die Tonaufzeichnungsmöglichkeit Genüge getan.


Quelle: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2015/14_UF_135_14_Beschluss_20150203.html

Anzumerken ist im Fall der Begutachtung von Autisten, daß auch ein Eingreifen von Begleitpersonen gerechtfertigt werden kann, weil Autisten mitunter in fremden Situationen wehrlos gegen Situationen werden, die sich sich nicht ausgesetzt werden sehen möchten. Hier kann die Begleitperson von Autisten im Auftrag des zu begutachtenden Autisten nach dessen Maßgabe schützend einschreiten.

Begutachtungen sind leider noch immer ein zentraler Teil der Einforderung elementarer, nicht selten auch lebenswichtiger Rechte von Autisten. Es ist in keiner Weise hinnehmbar, daß Autisten sich hierbei Schikanen einzelner (leider auch nicht so seltener) "schwarzer Schafe" unter den Gutachtern ungeschützt und quasi rechtlos aussetzen müssen würden. Und daß die Maßnahme zur Wahrung der eigenen Rechte erforderlich ist geht aus der obigen Schilderung hervor.

Diagnosen

Bezüglich Pflegestufen sind keine ärztlichen Diagnosen erforderlich, der MDK begutachtet hierzu sinngemäß orientiert am ICF. Auch wenn oft massenweise Diagnosen bei Pflegeanträgen vorhanden sind, sind diese formal gesehen keine Voraussetzung. Ein undiagnostizierter Autist kann also im Prinzip auch Leistungen nach diesem System erhalten.

Akteneinsicht

Diese regelt sich allgemein wie folgt:

Zitat:
§ 630g BGB – Kopien der Patientenakte
(1)Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.

Achtung: VdK-Mitgliedschaft bewirkt Verlust des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe

Prozesskostenhilfe ist formal gesehen eine Form der Sozialhilfe. Wie wir wissen ist Sozialhilfe in Deutschland ganz klassisch immer nachrangig, wenn der Bedarf nicht aus anderen sozialrechtlich verwertbaren Quellen gedeckt werden kann (deswegen können Eltern Behinderter mit Assistenzbedarf ja auch in ihrem Testament durch Unachtsamkeit bekanntlich "dem Staat spenden" - was andererseits zur Folge hat, daß diese Erbschaften dann in einer Weise vermacht werden, die dem behinderten Kind keinen freien Zugriff darauf ermöglichen und es somit massivst gegenüber anderen Erben benachteiligen). So wird dann auch tatsächlich von diversen deutschen Gerichten eine entsprechende Mitgliedschaft, die zu einem Rechtsbeistand verhilft entsprechend als "nicht bedürftig" gedeutet. Das allerdings schränkt die Wahlfreiheit offensichtlich ein, denn die Zeit "ein Anwalt für alles" ist auch im Rechtszweig des Sozialrechts vorbei, gerade wenn ein Autist sich auch aufgrund vieler anderer Kriterien die jeweils erfolgversprechendste Lösung wählen will. Nur weil jemand im VdK Mitglied ist, muß er auch noch nicht mit konkreten VdK-Anwälten einverstanden sein die nicht selten völlig überlastet sind und deswegen auch gerne mal Schriftsätze rausschicken ohne den Mandanten zu fragen, ob das so auch in ihrem Sinne ist. Ebenso ist nicht selten, daß ohne Kontrollmöglichkeit Anwälte in bessere Anstellungen wechseln, etc.

§114 ZPO:

Zitat:
Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

Aus dem beispielhaften Beschluß des LSG Bayern vom 22.11.2010 - L 7 AS 486/10 B PKH:

Zitat:
Das SG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Bf. nach seinen
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht außer Stande ist,
die für die Prozessvertretung entstehenden Kosten durch Einsatz seines
Vermögens zu bestreiten.

Zum Vermögen zählt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) auch der Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verband
(vgl. etwa BSG Beschluss vom 12.3.1996 9 RV 24/94). Dieser Auffassung,
die im Übrigen die ganz h. M. darstellt (vgl. LSG Hamburg Beschluss vom
21.1.2008 L 5 B 256/06 PKH AL mit weiteren Nachweisen) und auch
zwischenzeitlich nicht durch die Entscheidung des BSG vom 29.3.2007 B 9a
SB 3/05 R überholt ist (vgl. dazu ausführlich LSG Hamburg Beschluss vom
21.1.2008 L 5 B 256/06 PKH AL), schließt sich der Senat an.

Soweit der 18. Senat des BayLSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung
des BSG vom 29.3.2007 B 9a SB 3/05 R davon ausgeht, dass die Bewilligung
von PKH nur bei tatsächlicher Inanspruchnahme einer Vertretung durch den
Verband ausgeschlossen sei (BayLSG, Beschluss vom 21.11.2008, Az.: L 18
B 796/08 R PKH), ist dem nicht zu folgen. Die Mitgliedschaft im Verband
stellt auch dann eine vermögenswirksame Position dar, wenn die aufgrund
der Mitgliedschaft bestehende Möglichkeit der Prozessvertretung durch
den Verband im Konkreten nicht realisiert wird, aber realisierbar wäre,
also der Vertretung durch den Verband keine schwerwiegenden Gründe im
Einzelfall entgegenstehen. Solche Gründe sind nicht ersichtlich.

Aus der grundgesetzlich geschützten Koalitionsfreiheit lässt sich nicht
ableiten, dass der Bf. trotz der sich aus Verbandszugehörigkeit
ergebenden Vermögensposition der Möglichkeit der Prozessvertretung durch
den Verband noch zusätzlich einen Rechtsanwalt auf Kosten des Staates
beigeordnet bekommen muss. Ein unzulässiger Eingriff in den
grundrechtlich geschützten Bereich des Art. 9 Grundgesetz (GG) ist nicht
ersichtlich (aA BayLSG, Beschluss vom 21.11.2008, Az.: L 18 B 796/08 R
PKH). Die kostenlose Vertretung der Mitglieder eines Verbandes vor
Gericht gehört nicht zum grundrechtlich geschützten Kernbereich der
Tätigkeit eines Verbandes i. S. v. Art. 9 GG und ist lediglich als nicht
notwendige Serviceleistung einzuordnen. Soweit die kostenlose Vertretung
vor Gericht Hauptanliegen des Verbandes wäre, wäre die Mitgliedschaft
vergleichbar der Mitgliedschaft in einer Aktiengesellschaft nach Art 14
GG und nicht nach Art. 9 GG zu beurteilen (vgl. BVerfGE 14, 263/273 ff).
Eine von Art 14 geschützte Eigentumsposition kann ohne weiteres als die
Bewilligung von PKH ausschließende Vermögensposition gewertet werden.

Auch ist es nicht erforderlich, PKH zu gewähren, damit sich der Bf.
durch einen Fachanwalt für Sozialrecht vertreten lassen kann. Abgesehen
davon, dass schon nicht nachvollziehbar ist, warum ein Fachanwalt für
Sozialrecht eine höhere Qualifikation aufweisen sollte als der Vertreter
eines Sozialverbandes wie dem VdK, erfolgt zum einen die Bewilligung von
PKH ohne Rücksicht auf die fachliche (Sonder-)Qualifikation eines
Rechtsanwalts, ebenso die Beiordnung nach § 121 ZPO. Zum anderen kann
auf eine vermögenswirksame Position nicht nach Belieben verzichtet
werden, um einen vermeintlich besseren Rechtsschutz zu ereichen, wenn
Rechtsschutz bereits besteht.

Bestellung eines Notanwalts

Viele Autisten haben große Probleme Anwälte zu finden, die ihre Rechte vertreten. Auch wenn man es kaum glauben mag scheint es für Anwälte oft ein großes Problem darzustellen rein fernschriftlich mit einem Mandanten zu kommunizieren.

Andererseits sieht das deutsche Recht für manche gerichtliche Instanzen Anwaltszwang vor. Man hat also nur über einen Anwalt Zugang zu diesen Instanzen. Als Ausgleich sieht ZPO §78b Folgendes vor:

Zitat:
ZPO § 78b Notanwalt
(1) Insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(2) Gegen den Beschluss, durch den die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt wird, findet die sofortige Beschwerde statt.

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/zpo/__78b.html

Wer keinen Anwalt findet um eine Instanz mit Anwaltszwang zu erreichen, der kann also bei dem jeweiligen Gericht unter den genannten Bedingungen einen Notanwalt beantragen. Dabei sollten Autisten dann bereits möglichst klar darstellen, welche Umstände für sie barrierefrei wären und von dem Anwalt zu erfüllen sind. Man wird so vielleicht nicht immer einen guten Anwalt finden, aber es ist zumindest formal gesehen eine Möglichkeit, derer man sich bewußt sein sollte. Auch ein Notanwalt kostet Geld und ist nicht mit einem Antrag auf Prozesskostenhilfe zu verwechseln.

Es wäre für uns interessant Erfahrungen von Autisten mit diesem Instrument mitgeteilt zu bekommen um ein genaueres Bild zu bekommen, inwieweit dieser Weg für Autisten funktioniert oder eben auch nicht.

Feststellungsverfahren nach SGB9

Für die Durchführung eines solchen Verfahrens sind die Versorgungsämter zuständig, die allerdings nicht überall auch so heißen. Als Ergebnis kann ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden, sofern ein Grad der Behinderung (GdB) von über 50 festgestellt wird. Das kann nach der seit 2009 geltenden Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) (abgefasst auf GdS-Basis) wie laut der vorher geltenden AHP (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz / war auf GdB-Basis abgefasst) bei Autismus geschehen, muß jedoch seit einer Änderung geltend ab 2011 jedoch nicht mehr. Dies bedeutet, daß Autisten im Feststellungsverfahren künftig vermutlich mehr Papierkrieg zugemutet werden wird.

Seit 2009 wurde der MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) durch den GdS (Grad der Schädigungsfolgen) ersetzt. Ein GdS von 100 bedeutet Erwerbsunfähigkeit, ein GdB von 100 jedoch nicht. Wurde bei einer Person ein GdS festgestellt, wird mindestens ein GdB in dieser Höhe zuerkannt (Quelle: http://www.schwbv.de/gdb-gds-mde.html )Nachdem die alten AHP auf Basis des GdB abgefasst waren, basiert die nun geltende VersMedV in seinem Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" ( http://www.gesetze-im-internet.de/versmedv/anlage_8.html ) auf dem GdS. Da GdS und GdB wohl nicht gleich ausfallen müssen bedeutet dies vermutlich eine zusätzliche Unklarheit bei der Ermittlung des GdB. In der oben verlinkten Anlage heißt es:

Zitat:
"GdS und GdB werden nach gleichen Grundsätzen bemessen. Beide Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der GdS nur auf die Schädigungsfolgen (also kausal) und der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist."

und

Zitat:
"Eine Behinderung liegt erst ab Beginn der Teilhabebeeinträchtigung vor. Eine pauschale Festsetzung des GdS nach einem bestimmten Lebensalter ist nicht möglich.
Tief greifende Entwicklungsstörungen (insbesondere frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus, Asperger-Syndrom)
Bei tief greifenden Entwicklungsstörungen


ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 10–20,

mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 30–40,

mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50–70,

mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 80–100.

Die Kriterien der Definitionen der ICD-10-GM Version 2010 müssen erfüllt sein.
Soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integrationsfähigkeit in Lebensbereiche (wie zum Beispiel Regel-Kindergarten, Regel-Schule, allgemeiner Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, häusliches Leben) nicht ohne besondere Förderung oder Unterstützung (zum Beispiel durch Eingliederungshilfe) gegeben ist oder wenn die Betroffenen einer über das dem jeweiligen Alter entsprechende Maß hinausgehenden Beaufsichtigung bedürfen. Mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche auch mit umfassender Unterstützung nicht möglich ist."

Es wird sich zeigen, wie sich diese Änderung in künftigen Verfahren auswirken wird.

Update 5/2013: Die bisherige Erfahrung zeigt, daß die GdB-Zuteilung nach der Reform aktuell weitflächig nach nicht objektiv nachvollziehbaren Kriterien erfolgt und so auch vor - vermutlich fachlich ahnungslosen und von fast ebenso ahnungslosen Gutachtern abhängigen - Gerichten Bestand hat. So muß leider konstatiert werden, daß es in der Praxis kein wirklich nachvollziehbares System gibt über das hier berichtet werden könnte. Man kann nur hoffen, daß sich da noch deutlich etwas ändert. Zudem ist vereinzelt eine klare Tendenz zu beobachten entmündigende Dienste mit einem höheren GdB zu "belohnen", obwohl die Teilhabevoraussetzungen eigentlich nicht wesentlich verschieden sind. Dieser Mißstand weist eindeutig in eine Richtung, die der UN-Behindertenrechtskonvention zuwiderläuft.

Allgemeine Ratschläge

Ein solches Feststellungsverfahren kann man einleiten, indem man dem zuständigen Amt mitteilt, daß und weswegen man vermutet behindert zu sein. Dazu braucht man keine Diagnose, es ist aber, wenn man nicht diagnostiziert ist, unbedingt anzuraten zuerst zu einem Arzt zu gehen, der sich mit Autismus auskennt. Vorher sollte man sich allerdings überlegen, welche Versicherungen einen nach einer Erstdiagnose eventuell nicht mehr oder nur mit Ausschlußklauseln oder hohen Aufschlägen aufnehmen würden. Beispiele für solche Versicherungen können private Krankenversicherungen und Berufsunfähigkeitsversicherungen sein. Erfolgt durch ihn eine Diagnose, sollte man mit ihm das Vorhaben eines Antrags auf ein Feststellungsverfahren durchsprechen, besonders auch in Hinblick darauf welche Merkzeichen er befürworten würde. Tut man das alles nicht, weist das Amt einen Gutachter zu, der sich in der Praxis meistens nicht mit Autismus auskennt und sich außerdem nur wenig Zeit nimmt - für Autisten sind das wohl ganz schlechte Voraussetzungen.

Achtet darauf von einem Arzt (z.B. Psychiater) diagnostiziert zu werden, Diagnosen von einen Psychologen, wie es sie z.B. oft in ATZ gibt, werden oft von Ämtern nicht anerkannt.

Auch wenn man sehr einfach ein solches Verfahren einleiten kann, erspart man sich Probleme und Nachfragen, indem man sich zur Begründung des Antrags Zeit lässt und sich Rat für eine sorgfältige Formulierung holt, die sich an Begriffe des Amtes und einschlägige Urteile anlehnt. Das Amt prüft nämlich schablonenartig, Mitdenken des Sachbearbeiters sollte man nicht erhoffen und gerade bei Autismus dürfte es dazu diesen auch in der Regel weitgehend an Kenntnissen mangeln. Die Zuteilung eines Merkzeichens “BL” (blind) an ein autistisches Kind, wie uns in einem Fall bekannt ist, ist eher eine Kuriosität in dieser Hinsicht. Meistens wird die fehlende Sachkenntnis sich darin niederschlagen, daß auf ganzer Linie zu gering eingestuft wird und Merkzeichen abgelehnt werden, für die die Voraussetzungen eigentlich klar erfüllt sind.

Viele Versorgungsämter pflegen einen Stil, der in seiner Ruppigkeit und Kaltschnäutzigkeit an die Arbeitslosenverwaltung erinnert. Das liegt vermutlich nicht unbedingt am jeweiligen Sachbearbeiter, sondern am System.

Zudem sei hiermit dringend darauf hingewiesen, daß beim Versorgungsamt vermutlich zumindest in naher Zukunft flächendeckend elektronische Akten angelegt werden. Jeder mag selbst genau abwägen, ob unter diesen Umständen eine Antragstellung für ihn vertretbar erscheint oder nicht. Dies kann bei derartig sensiblen Sachverhalten nur als unverantwortlich betrachtet werden! Der Staat besitzt auf absehbare Zeit leider nicht die Fähigkeit solche Daten wirklich sicher zu schützen, wie jeder weiß der die allgemeinen Medien auch nur halbwegs aufmerksam verfolgt und dort erfährt man nur von einem kleinen Teil des wahren Ausmaßes. Es besteht somit aktuell eine realistische Gefahr nach einer Antragstellung irgendwann die eigene Vorsorgungsamtsakte frei zugänglich im Internet vorzufinden. Entweder sind die zuständigen Stellen unheimlich naiv und somit nicht für den Umgang mit solchen Daten geeignet oder es besteht die Absicht die Zahl der Leistungsempfänger auf diesem Weg durch Abschreckung zu minimieren nach dem Motto "Nur wer es wirklich nötig hat, der verzichtet freiwillig auf seine Menschenwürde.".

Hierzu siehe auch diese Umfrage aus dem Jahr 2012.

GdB

Je höher der GdB-Wert, desto mehr steigt auch der individuelle Steuerfreibetrag (Pauschbetrag) wegen außergewöhnlichen Belastungen für
Behinderte an:

  • GdB 50 = +570€
  • GdB 60 = +720€
  • GdB 70 = +890€
  • GdB 80 = +1060€
  • GdB 90 = +1230€
  • GdB 100 = +1420€

Quellen: http://www.gesetze-im-internet.de/estg/__33b.html , http://www.zbfs.bayern.de/schwbg/wegweiser/weguebersichten.html
Desweiteren gibt es diverse Nachteilsausgleiche, die sich auch nach der Höhe des GdB richten:

    Bei GdB 50:

  1. Zusatzurlaub gemäß SGB9 §125 von einer Woche.
  2. "Schwerbehinderte Menschen werden auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt." (SGB9 §124)
  3. "Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten
    Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des
    Integrationsamtes." (SGB9 §85)
  4. Vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente (einige Jahre früher)
    nach SGB §37 und §236a nach Wartezeit gemäß §51 von 35 Jahren. Für
    Beamte auf Lebenszeit gilt laut BGG §42,4,1 ebenfalls die Möglichkeit
    auf Antrag früher in den Ruhestand versetzt zu werden.
  5. Befreiung von der Wehrpflicht gemäß WPflG §11,1,4.
  6. Besondere Fürsorge im öffentl. Dienst; Fürsorgeerlass FMBek. v.
    8.8.90. Ermäßigung der Arbeitszeit von Lehrern um zwei Wochenstunden.
    (Quelle siehe unten)
  7. Ermäßigungen bei Kurtaxen oder Automobilclubs (bei denen nachfragen).
  8. Bei GdB 70:

  9. Ermäßigung der Arbeitszeit von Lehrern um drei Wochenstunden. (Quelle siehe unten)
  10. Bei GdB 90:

  11. Ermäßigung der Arbeitszeit von Lehrern um vier Wochenstunden. (Quelle siehe unten)
  12. Bei GdB 100:

  13. Freibetrag bei der Einkommensberechung für Wohngeld von 1500€ auf den reinen GdB gemäß WoGG §13,1,1.
  14. Freibetrag bei der Einkommensberechung für die soziale Wohnungsbauförderung von 4500€ auf den reinen GdB gemäß WoFG §24,1,1.

Ergänzende Quelle: http://www.hauert.eu/schwerbehindertenausweis.htm

Merkzeichen

Im Feststellungsverfahren kann nicht nur über den GdB entschieden werden, sondern auch über sogenannte Merkzeichen. Das sind Feststellungen des Anspruchs auf besondere Nachteilsausgleiche. Die für Autisten interessanten Merkzeichen werden hier hier in den Unterkapiteln folgend abgehandelt (rechts im Menü anklicken).

Merkzeichen B

“B” bedeutet, daß man das Recht hat kostenlos eine Begleitperson mit sich zu führen, was in vielen öffentlichen Verkehrsmitteln (die Kriterien sind weiter gefasst als bei der Wertmarke) aber auch in vielen Museen, Schwimmbädern und vergleichbaren Einrichtungen gilt.

Die gesetzliche Definition der Voraussetzungen lautet wie folgt:

Zitat:
“SGB9 § 146 Persönliche Voraussetzungen

(2) Zur Mitnahme einer Begleitperson sind schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Die Feststellung bedeutet nicht, dass die schwerbehinderte Person, wenn sie nicht in Begleitung ist, eine Gefahr für sich oder für andere darstellt.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__146.html

Die Voraussetzungen werden bei Autisten denen zu “G” gleichen, weswegen ein Autist, der G bekommt auch immer B bekommen sollte. Eine solche Verknüpfung leitet sich aus dem Verweis von Kapitel 32 zu Kapitel 30, 4 und 5 in den AHP ab, wobei die Eingruppierung von Autisten dort nicht klar vorgenommen wurde, weswegen auch die Grenze von 80 GdB für die Erteilung als nicht entscheidend anzusehen sein dürfte, zumal die AHP keinen Gesetzescharakter besitzen:

Zitat:
“AHP Kapitel 32

(3)Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist anzunehmen bei

[...]

den in Nummer 30 Absätze 4 und 5 genannten Sehbehinderten, Hörbehinderten,geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist.”

Quelle: http://www.bmas.bund.de/BMAS/Redaktion/Pdf/Publikationen/anhaltspunkte-f...

Merkzeichen G

“G” steht für gehbehindert und umfasst nicht nur Probleme mit dem Gehen an sich, sondern auch mit der Orientierungsfähigkeit und Hemmnisse wegen empfindlicher Wahrnehmung und Reizüberflutung (inneres psychisches Leiden). Relevant ist auch, daß die Person sich sicher und ohne unzumutbares Leiden im städtischen Straßenverkehr (unabhängig vom eigenen Wohnort) fortbewegen kann. Die in manchen Urteilen vertretene Ansicht, daß die Voraussetzungen erfüllt wären, wenn 2km nicht in 30 Minuten zurückgelegt werden können teilt die Rechtsprechung nicht einheitlich: http://www.anhaltspunkte.de/rspr/urteile/L_13_SB_44.04.htm
Die gesetzliche Definition der Voraussetzungen lautet wie folgt:

Zitat:
“SGB9 § 146 Persönliche Voraussetzungen
(1) In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. [...]”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__146.html
Dieses Merkzeichen steht Autisten oft zu.
Interessant ist unter anderem diese einem Gerichtsurteil entnommene< Erklärung eines einzelnen Aspektes, die veranschaulicht, daß alleine schon Schmerzen bei der Fortbewegung G begründen können, die in mindestens 40% der Fälle den Antragsteller daran hindern eine Wegstrecke zurückzulegen:
Zitat:
“Diese Schmerzen werden durch Gehen noch verstärkt, wie Dr. M. in seinem Bericht geschildert hat. Der ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMA hat mit Beschluss von März 1987 festgestellt, dass häufige entzündliche Hautveränderungen im Genitalbereich, die zu erheblichen Schmerzen beim Gehen führen, den Nachteilsausgleich “G” rechtfertigen können. Auch bei Bauchdecken- und Narbenbrüchen bei Stoma-Trägern ist der Nachteilsausgleich “G” gerechtfertigt, wenn die Behinderung mit erheblichen Schmerzen beim Gehen verbunden ist (Beirat November 1994). Die bei der Klägerin vorliegende Behinderung ist mit den vorgenannten Behinderungen vergleichbar. Dies folgt auch aus den Aufzeichnungen der Klägerin, die diese dem Gericht überlassen hat und die das Gericht für glaubhaft hält. Danach besteht häufig ein Zustand der es der Klägerin verbietet, ortsübliche Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen. Nach Auffassung der Kammer dürfte diese Häufigkeit mindestens 40% der Fälle betreffen, was nach der Rechtsprechung, der sich die Kammer hier anschließt - für den Nachteilsausgleich “G” ausreichend ist (LSG Hessen Az.: L 4 SB 1351/95 ; VdK -Kommentar zu den “Anhaltspunkten” zu Punkt 30 Anm. 10 p).””

Quelle: SG Düsseldorf Az.: S 31 (38) SB 238/99 vom 30.10.2000 http://www.anhaltspunkte.de/rspr/g.htm#1
Nachteilsausgleiche bei Merkzeichen G

  1. G berechtigt entweder zu einer Halbierung der KFZ-Steuer inklusive möglichem Rabatt bei der KFZ-Haftpflichtversicherung oder zum Kauf einer Wertmarke (60€ pro Jahr falls man kein “Sozialfall” ist), die mit dem Schwerbehindertenausweis als Flatrate-Fahrkarte im ÖPNV nach bestimmten nicht ganz einfach zuverstehenden Regeln genutzt werden kann.
  2. Mehrbedarfserhöhung bei der Sozialhilfe von 17 % bei Alter ab 65 oder voller Erwerbsminderung.
  3. Wahlweise Ansatz der tatsächlichen Kosten für Fahrten zur Arbeitsstätte mit dem Kfz als Werbungskosten ab dem 1. km statt der pauschalen 0,30€/km ab dem 21. km. Das Gleiche gilt für Familienheimfahrten, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und am Beschäftigungsort wohnt. (gilt bei GdB 50 und G sowie ab GdB 70 ohne Merkzeichen)
  4. Ab GdB 70 und G (oder GdB 80 ohne Merkzeichen): Abzugsbetrag für Privatfahrten im eigenen Kfz (oder sonstigen Verkehrsmitteln einschließlich Taxis (und fremden Kfz?), sofern kein eigenes Kfz besessen wird) neben dem erhöhten Steuerfreibetrag als außergewöhnliche Belastung in der Regel bis zu 3.000 km x 0,30€ = 900€.
  5. Neben Rabatten bei der Kfz-Haftpflicht gibt es auch oft Rabatte bei Autohändlern, wenn G nachgewiesen wird. Fluglinien geben ebenfalls teilweise freiwillig Rabatte.

Merkzeichen H

“H” bedeutet hilflos. Autisten steht es seit Inkrafttreten der neuen Rechtsgrundlage VersMedV im Jahr 2009 bei GdS ab 50 bis zum 18. Geburtstag gemäß VersMedV Anlage zu §2, Teil A, 5 d) bb) zu, danach wird individuell geprüft:

Zitat:
“Bei tief greifenden Entwicklungsstörungen, die für sich allein einen GdS von mindestens 50 bedingen, und bei anderen gleich schweren, im Kindesalter beginnenden Verhaltens- und emotionalen Störungen mit lang andauernden erheblichen Einordnungsschwierigkeiten ist regelhaft Hilflosigkeit bis zum 18. Lebensjahr anzunehmen.”

Vorher, und das dürfte noch relevant für ältere Fälle sein, erstreckte sich die Dauer nach AHP 22,4b nur bis zum 16. Geburtstag, jedoch ohne ausdrückliche Festlegung eines Mindest-GdB:
Zitat:
“b) Bei autistischen Syndromen sowie anderen emotionalen und psychosozialen Störungen mit langandauernden erheblichen Einordnungsschwierigkeiten ist in der Regel Hilflosigkeit bis zum 16. Lebensjahr - in manchen Fällen auch darüber hinaus - anzunehmen.”

Quelle: http://www.bmas.bund.de/BMAS/Redaktion/Pdf/Publikationen/anhaltspunkte-fuer-die-aerztliche-gutachtertaetigkeit,property=pdf,bereich=bmas,sprache=de,rwb=true.pdf
Die für den einen oder anderen vielleicht mengenmäßig-suggestive Formulierung “manche Fälle” braucht man dabei wohl nicht zu ernst zu nehmen. Es gibt klare inhaltliche Vorgaben, die erfüllt sein müssen, eine Quote innerhalb der Autisten wäre nicht im Sinne des Gesetzgebers.
Die Bewertung ist nicht ganz einfach und läßt sich kurz damit zusammenfassen, daß etwa 2 Stunden täglich bei mindestens drei verschiedenen Verrichtungen Hilfe erforderlich ist. Hilfe umfasst auch die “erforderliche” Bereitschaft zur Hilfe oder Überwachung. (Was erforderlich ist, ist ein Thema für sich, richtet sich nach gesellschaftlichen Normen aber auch den subjektivem Bedürfnisse der einzelnen Person.) Ist der Wert der Hilfe z.B. wegen ungünstiger zeitlicher Verteilung besonders hoch, wird diese Faustregel nach unten durchschritten. In manchen Fällen reichen zudem auch weniger als drei Verrichtungen damit die Voraussetzungen erfüllt sind. Hierzu gibt es etliche Gerichtsurteile.
Die gesetzliche Definition der Voraussetzungen lautet wie folgt:
Zitat:
“EStG § 33b Pauschbeträge für behinderte Menschen, Hinterbliebene und Pflegepersonen
(6) [Satz 3+4:] Hilflos im Sinne des Satzes 1 ist eine Person, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe
zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/estg/__33b.html
Nachteilsausgleiche bei Merkzeichen H

  1. H berechtigt auch ohne Merkzeichen G im Prinzip zu dessenVergünstigungen, die Wertmarke gibt es hier sogar kostenlos, jedoch nicht automatisch.
  2. Volle Befreiung von der Kfz-Steuer auch gleichzeitig mit erteilter Wertmarke.
  3. Erhöhter Gesamtpauschbetrag wegen außergewöhnlicher Belastung von 3700€ jährlich.
  4. Befreiung von der Hundesteuer in vielen Gemeinden (die Hundesteuer ist eine kommunale Steuer).
  5. In Ausnahmefällen die Möglichkeit Fahrten zu ambulanten Behandlungen verordnen und von der gesetzlichen Krankenkasse zahlen zu lassen (dort nachfragen).
  6. Befreiung von Fahrverboten zur Verminderung schädlicher Luftverunreinigungen in Verkehrsverbotszonen (Zeichen 270.1 StVO) auch als Mitfahrer.

Merkzeichen RF

“RF” bedeutet rundfunkgebührenbefreit. Autisten erfüllen die Voraussetzungen für RF, wenn sie wegen Reizüberflutung, daraus entstehendem Leiden und Unfähigkeit der Veranstaltung halbwegs zu folgen nicht in der Lage sind öffentliche Veranstaltungen unter zumutbaren Bedingungen zu besuchen. In den meisten Broschüren steht, daß dies für alle Veranstaltungen gelten muß, was jedoch von der Rechtsprechung nicht geteilt wird und somit eine Falschinformation ist. Aus einem Urteil hierzu, das sinngemäß Aufschluß über die anzulegenden Maßstäbe gibt:

Zitat:
“Insoweit beruft sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 02.05.2002 zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.06.1987 - 9a RVs 27/85 -. Zwar hat das Bundessozialgericht in dieser Entscheidung festgestellt, dass es einem Behinderten zuzumuten ist, die Hilfe Dritter bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen und dass daher ein Behinderter der von einer dritten Person in einem Rollstuhl geschoben werden muss, nicht grundsätzlich von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Allerdings darf diese Entscheidung nicht so ausgelegt werden, dass damit praktisch jeder Behinderte noch als fähig angesehen wird, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Beschränkt man nämlich die Feststellung des Bundessozialgerichts allein auf die Tatsache, dass ein Behinderter noch zu einer öffentlichten Veranstaltung hingeschoben werden kann, so ist der Besuch von öffentlichen Veranstaltungen praktisch jedermann möglich, denn nur in seltenen Ausnahmefällen und bei schwersten akuten Erkrankungen wird es nicht möglich sein, einen behinderten Menschen in einen Rollstuhl zu setzen und zu einer öffentlichen Veranstaltung zu transportieren.

Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung, ob jemand noch an öffentlichen Veranstaltungen in zumutbarer Weise teilnehmen kann, ist daher nicht die Frage, ob dieser Behinderte in einem Rollstuhl zu einer öffentlichen Veranstaltung hin- und zurücktransportiert werden kann, sondern entscheidend kann nur die Frage sein, ob der behinderte Mensch in ähnlichem Umfang von öffentlichen Veran­staltungen ausgeschlossen ist, wie der in der Punkt 33 der “Anhaltspunkte” aufgeführte Personenkreis, dem der Nachteilsausgleich “RF” grundsätzlich, ohne weitere Prüfung, gewährt wird.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der in Punkt 33 der Anhaltspunkte aufgeführte Kreis von Behinderten auch ohne weiteres in der Lage wäre, mit Hilfe von Begleitpersonen an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen. Sowohl hochgradig Sehbehinderte (Punkt 33 (2) a) wie auch Behinderte mit schweren Bewegungsstörungen (Punkt 33 (2) c), können grundsätzlich unproblematisch an verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Für Hörgeschädigte (Punkt 33 (2) b) gibt es sogar spezielle öffentliche Veranstaltungen. Gleichwohl schreiben die “Anhaltspunkte” vor, dass ab einem GdB von 50, das entspricht “lediglich” einer beiderseitigen hochgradigen Schwerhörigkeit (gemessen ohne Hörhilfe) der Nachteilsausgleich “RF” in der Regel zu gewähren ist, obwohl keineswegs ersichtlich ist, warum diese Behinderten nicht z.B. an einer Sportveranstaltung oder ähnlichem teilnehmen könnten.”

Quelle: SG Düsseldorf – Urteil vom 23.12.2002 – Az.: S 31 SB 197/02 http://www.anhaltspunkte.de/rspr/urteile/sg_duess%2023.12.02%20197.02.htm

Im übrigen ist bei der Prüfung der Voraussetzungen (Zitat aus dem untern erwähnten Urteil) “zu berücksichtigen, dass im allgemeinen auf einen Rollstuhlfahrer in der Öffentlichkeit mehr Rücksicht genommen wird als auf einen Menschen, der nicht offensichtlich schwer behindert ist.” Das dürfte bei Autisten zweifellos der Fall sein.

Quelle: Bayerisches Landessozialgericht - Urteil vom 30.06.2005 - Az.: L 15 SB 106/04 http://www.anhaltspunkte.de/zeitung/urteile/L_15_SB_106.04.htm

Sozialgerichtsbarkeit

Daher ist es auf jeden Fall ratsam vor Antragstellung eine gute Rechtsschutzversicherung abzuschließen die auch Prozesskosten neben denen des Gerichts selbst abdeckt und auch bis zur Antragstellung eventuelle Wartezeiten ablaufen zu lassen, die für mögliche Prozesse gegen das Amt gelten würden. Das gilt natürlich nur, wenn man es nicht eilig hat. Für die Gerichtskosten vor der Sozialgerichtsbarkeit gilt dies:

Zitat:
“SGG § 183

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. § 93 Satz 3 [Mögliche Kopierkosten als Ersatz für eine nicht ausreichende Zahl von Abschriften der eingereichten Prozessunterlagen (Klageschrift, etc.).], § 109 Abs. 1 Satz 2 [Vorstreckung und Übernahme von Gutachterkosten im Falle des Unterliegens], § 120 Abs. 2 Satz 1 [Kosten für selbstangeforderte Kopien] und § 192 [Möglichkeit Gerichtskosten auferlegt zu bekommen, weil ein Gerichtstermin durch ein eigenes Verschulden verschoben oder vertagt werden muß oder weil jemand trotz des Hinweises des Vorsitzenden, daß die Rechtverfolgung mißbräuchlich geschehe und deswegen ihm die Kosten auferlegt werden können den Rechtsstreit weiterführt.] bleiben unberührt.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgg/__183.html

Es entstehen also bei einem Sozialgerichtsverfahren nicht unbedingt hohe Kosten, auch wenn man verliert. Weitere Informationen gibt es z.B. hier (vom Bayrischen Landessozialgericht): http://www.lsg.bayern.de/allgemeines/verfahren.html

Übrigens wird bei Sozialgerichtsverfahren, bei denen es um Behinderungen geht einer von zwei ehrenamtlichen Richtern selbst aus dem Kreis der Behinderten stammen: http://www.gesetze-im-internet.de/sgg/__14.html

Mehrfachanrechnung nach SGB9 §76

Die zuständigen Arbeitsagenturen können Behinderten eine Mehrfachanrechnung bezüglich der Behindertenpflichtplanstellen in einem Unternehmen zugestehen. Diese Einstufung kann auch nützlich für die Zahlung von Kindergeld für erwachsene Behinderte sein, ist jedoch keine zwingende Voraussetzung dafür. Die Kriterien sind im Gesetz wie folgt geregelt (§§ 76 und 72):

Zitat:
"(1) Die Bundesagentur für Arbeit kann die Anrechnung eines schwerbehinderten Menschen, besonders eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 72 Abs. 1 auf mehr als einen Pflichtarbeitsplatz, höchstens drei Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen zulassen, wenn dessen Teilhabe am Arbeitsleben auf besondere Schwierigkeiten stößt. Satz 1 gilt auch für schwerbehinderte Menschen im Anschluss an eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen und für teilzeitbeschäftigte schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 75 Abs. 2."

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__76.html

Zitat:
"(1) Im Rahmen der Erfüllung der Beschäftigungspflicht sind in angemessenem Umfang zu beschäftigen

  1. schwerbehinderte Menschen, die nach Art oder Schwere ihrer Behinderung im Arbeitsleben besonders betroffen sind, insbesondere solche,
    1. die zur Ausübung der Beschäftigung wegen ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend einer besonderen Hilfskraft bedürfen oder
    2. deren Beschäftigung infolge ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend mit außergewöhnlichen Aufwendungen für den Arbeitgeber verbunden ist oder
    3. die infolge ihrer Behinderung nicht nur vorübergehend offensichtlich nur eine wesentlich verminderte Arbeitsleistung erbringen können oder
    4. bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 allein infolge geistiger oder seelischer Behinderung oder eines Anfallsleidens vorliegt oder
    5. die wegen Art oder Schwere der Behinderung keine abgeschlossene Berufsbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes haben,
  2. schwerbehinderte Menschen, die das 50. Lebensjahr vollendet haben."

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9/__72.html

Aufgrund von §72 d) sollte ein Autist in der Regel die Voraussetzungen erfüllen. Lehnt die Arbeitsagentur einen Antrag ab, kann Widerspruch und Klage beim Sozialgericht erhoben werden. Meist tut dies das Unternehmen, das sich davon Vorteile erhofft.

Gleichstellung nach SGB9 §2,3 bei GdB unter 50

Autisten, auf deren Antrag auf Schwerbehindertenstatus aufgrund einer Autismusdiagnose entgegen der einschlägigen Anhaltspunkte (Minimum GdB 50 für Autismus) wegen einer Fehlentscheidung ein GdB von unter 50 veranschlagt wurde oder die wegen anderer relevanter Diagnosen bereits ein GdB ab 30 bis unter 50 festgestellt wurde, können bei Arbeitslosigkeit gegenüber der Arbeitsagentur einen Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 des neunten Sozialgesetzbuches stellen.

Daraus ergeben sich wie bei Schwerbehinderten mit einem GdB ab 50 ein besonderer Kündigungsschutz, Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber, Hilfen zur Arbeitsplatzausstattung und Möglichkeit der Betreuung durch Fachdienste.

Dies ist jedoch auch nur möglich, wenn aufgrund der festgestellten Behinderung ohne diese Gleichstellung kein geeigneter Arbeitsplatz erlangt oder behalten werden kann. Dieses steht im krassen Widerspruch zu vorkommenden Äußerungen/"Beratungen" der Fallmanager in den Arbeitsagenturen vorhandene Diagnosen nicht in den Bewerbungen oder im Vorstellungsgespräch zu erwähnen, da sich die meisten Menschen unter Autismus Rainman vorstellen würden und auch bei einem an sich uneingeschränkt wirkenden persönlichen Kontakt bei Kenntnis um die Diagnose vor einer Einstellung aufgrund möglicher Konflikte zurückschrecken würden. Oder sie üben Druck aus, indem mit Leistungsreduzierung oder -sperrung gedroht wird, falls durch Angabe der Diagnose gegen die Mitwirkungspflicht verstoßen würde. Letzteres könnte zu einem Streitpunkt führen, wenn Bewerbungen aufgrund von Vermittlungsvorschlägen schriftlich ausgeführt werden und sich die Arbeitsagentur die vollständigen Bewerbungsunterlagen inklusive Anschreiben von den angeschriebenen Arbeitgebern in Form einer angebotenen Dienstleistung (Abwicklung des Schriftverkehrs, was u.a. eigentlich ein Interessenkonflikt darstellt) beschafft.

Weitere Informationen dazu befinden sich auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit: Klick.

Sonderregelungen bei ALG2 und Sozialhilfe

Siehe die Unterkapitel (Zugang über das Menü rechts).

Eigene Wohnung unter 25 Jahre

Möglichst ruhige und sichere Wohnbedingungen sind für Autisten sehr wichtig und im Elternhaus oft nicht gegeben. Daher kann es sich als ALG2-Empfänger und Autist lohnen einen Umzug zu beantragen, auch wenn man noch nicht 25 Jahre alt ist und wegen dem ALG2-Bezug normalerweise noch bei den Eltern leben müsste. Bei Sozialhilfebezug (in geringem Maß erwerbsfähig) gilt diese Regelung nicht. Wenn es Probleme beim Auszug wegen der untern zitierten Regelung gibt - die ESH hilft.

Zitat:
"Bei ihren Eltern wohnende arbeitslose Volljährige, die noch nicht 25 Jahre alt sind, erhalten seit dem 1. Juli 2006 nur noch 80 Prozent (276 €) Alg II. Wenn sie aus dem Haushalt der Eltern ausziehen wollen, müssen sie seit dem 1. April 2006 zuvor einen Antrag auf Umzug stellen, der einer Genehmigung bedarf."

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/ALG2#Gesetz_zur_.C3.84nderung_des_SGB_II_un...

Zitat aus dem SGB2 §7,3:

Zitat:
Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

[...]

4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__7.html

Allgemeine Erläuterungen zur Begründung eines vorherigen Auszugs (die Zahlen sind Fußnoten, deren Entsprechung im Zitat nicht enthalten sind, wohl aber bei der Quelle):

Zitat:
Die Empfehlungen des Deutschen Vereins zu § 22 Abs. 2a erhalten eine nicht abschließende Liste mit möglichen Gründen für die Erteilung der Zusicherung. (Falls verfügbar, habe ich einen Verweis auf entsprechende Sozialgerichtsentscheidungen beigefügt.)

Ein schwerwiegender sozialer Grund liegt demnach vor, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung:

„(…)

1. eine schwere Störung der Eltern-Kind-Beziehung besteht: das Zusammenleben von Eltern und der Person unter 25 Jahren aus physischen und/oder psychischen Gründen nicht mehr möglich ist oder ein Zusammenleben wechselseitig nicht mehr zumutbar ist,
2. ohne Umzug Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl der Person unter 25 Jahren besteht,
3. die Platzverhältnisse in der Wohnung der Eltern zu beengt sind,
4. bei Zusammenleben mit Geschwistern in der Wohnung der Eltern eine Geschlechtertrennung nicht möglich ist,6
5. ein Verweisen auf die Wohnung der Eltern mangels entsprechender Pflichten nach dem BGB (z.B. Entscheidung der Eltern gegen Gewährung von Naturalunterhalt bzw. Titel des Kindes auf Barunterhalt, § 1612 BGB, oder Entscheidung des Vormundschaftsgerichts auf Unterbringung außerhalb des Elternhauses) nicht möglich ist bzw. ein Verweisen unzumutbar ist, weil z.B. der sorgeberechtigte Elternteil sein Sorgerecht nie oder für längere Zeit nicht ausgeübt hat,
6. die Person unter 25 Jahren fremd untergebracht ist oder sich in einer Einrichtung nach § 67 SGB XII oder in anderen Einrichtungen nach dem SGB II, SGB VIII oder SGB XII aufhält, für den Fall, dass sie aus einer solchen Einrichtung eine eigene Wohnung bezieht (im Vordergrund steht hier der „Therapie-”erfolg, welcher durch Zurückziehen zu den Eltern nicht gefährdet werden soll),
7. die Person unter 25 Jahren eine eigene Familie hat (z.B. Heirat/ Lebenspartnerschaft oder Kind; ehe- oder partnerschaftsähnliche Beziehungen zählen hingegen nicht dazu).”7

Als sonstige ähnlich schwerwiegende Gründe werden in den Empfehlungen genant, wenn:

„(…)

1. der Erstauszug sachlich gerechtfertigt war oder eine Zusicherung erteilt wurde und die Umstände sich nicht verändert haben,
2. die Unter-25-Jährige schwanger ist,8
3. der unter 25-jährige Kindsvater mit der Schwangeren zusammenziehen und eine eigene Familie gründen will. Das gilt auch für den unter 25-jährigen Partner der Schwangeren.”9

Ein weiterer Grund liegt vor, wenn die Eltern oder ein Elternteil an einen anderen Ort umziehen.10 Zudem sollte davon ausgegangen werden, dass bei entsprechender Ausgangslage Antragstellenden eine Zusicherung im Rahmen des Ermessens auch aufgrund anderer Lebenslagen erteilt werden kann, vor allem, wenn diese kurz vor Vollendung des 25. Lebensjahrs stehen.11

Quelle: http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2007/sonderbehandlungu25.aspx

Dementsprechend liegt schon fast auf der Hand, wie man auch autismusbedingt zu diesem Zweck argumentieren könnte. Unzumutbare Lebensbedingungen im Elternhaus gefährden die Gesundheit (zu der auch psychische Aspekte gezählt werden) teils erheblichst. Dazu können diverse Sinnesreize beitragen aber auch zwischenmenschliche Komplikationen, etwa wenn die Eltern oder Geschwister es nicht hinbekommen sich ausreichend autismuskompatibel zu verhalten oder gar aktiv diskriminierend auftreten (und sei es dadurch, daß jemand meint den Autisten nach eigenen Vorstellungen "erziehen" zu müssen). Hier sind viele verschiedene Störfaktoren denkbar, die insofern dann auch relevant sind.

Urteil: Arbeitslose darf wegen Mietzahlungsverzug der ARGE aus der Wohnung geworfen werden

Welcher Arbeitslose kennt sie nicht, die geradezu typische und "rein zufällig" abschreckende Unzuverlässigkeit und mitunter rätselhaften Verhaltensweisen der ARGEn und Arbeitsagenturen eben auch wenn es darum geht Summen pünktlich und dauerhaft korrekt zu zahlen. Praktiker wissen, daß dies im Rahmen einer scheinbar systematischen Schikanepolitik fast gar nicht verhindert werden kann. Nun hat das LG Bonn in seinem Urteil vom 10.11.2011; Az. 6 T 198/11 entschieden, daß einer Arbeitslosen (unten "Beklagte" genannt) zu Recht gekündigt wurde, weil sie nicht beweisen konnte alles getan zu haben um die ARGE dazu zu bewegen die Miete pünklich zu zahlen.

In dieser Konstellation ist ein entscheidender Faktor gewesen, daß die Miete von der ARGE offenbar aus unerfindlichen Gründen plötzlich nicht mehr direkt an den Vermieter gezahlt wurde. Wer also bewußt die Miete über das eigene Konto zum Vermieter lotst (wofür es ja durchaus gute Gründe geben kann) sollte besonders peinlich genau darauf achten Beweise dafür zu sammeln sich im o.g. Sinne bemüht zu haben, wenn die ARGE nicht früh genug zahlt. Wie diese Pflicht in Anbetracht der Kommunikationsbarrieren für Autisten auszulegen ist, ist auch der ESH unklar. Es dürfte jedoch naheliegen sich jeweils auf später nachweisbare Weise per Fax zu beschweren und dabei die "richtigen" Fragen im unten zitierten Sinne zu stellen.

Im einzelnen aus dem Urteil:

Zitat:
Die Kammer hält insoweit an ihrer bereits im Beschluss vom 09.07.2010, 6 T 144/10, geäußerten Rechtsauffassung fest, die im Einklang mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur steht, wonach der Verzug trotz des bestehenden Beschaffungsrisikos ausnahmsweise nicht zu vertreten ist, wenn der Mieter objektiv und schuldlos an der Zahlung verhindert ist (vgl. Schmidt-Futterer-Blank, 10. Auflage, § 543, Rn. 96 m. w. N.), auch wenn der Kündigungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB in der Regel die Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen nicht zulässt (BGH ZMR 1987, 289). Als Ausnahmefall wurden von der Rechtsprechung insoweit z. B. die Verhinderung des Mieters aufgrund einer plötzlichen Erkrankung und die rechtzeitige Erteilung eines Überweisungsauftrags bei Nichtausführung durch die Bank trotz Kontodeckung anerkannt. Die Kammer ist der Ansicht, dass diesen Fällen der Fall gleichzustellen ist, in dem der im Leistungsbezug der ARGE stehende Mieter alles ihm Obliegende und Zumutbare getan hat, um die ARGE zur pünktlichen Zahlung der geschuldeten Mietzinsen an den Mieter zu veranlassen (wobei zu diesen Obliegenheiten ggf. auch gehört, die Miete pünktlich an den Vermieter weiterzuleiten, soweit keine Direktzahlung an den Vermieter erfolgt, sondern die ARGE zuerst an den Mieter zahlt).

[...]

Nach diesen Voraussetzungen hat die Beklagte nicht substantiiert dargelegt und schon gar nicht bewiesen, dass sie alles ihr Obliegende und Zumutbare getan hätte, um die ARGE zur pünktlichen Zahlung zu veranlassen.

Unstreitig zahlte die ARGE die Miete vorliegend direkt an die Klägerin. Es ist jedoch nicht konkret von der Beklagten vorgetragen worden, warum die ARGE nicht stets pünktlich zahlte und inwieweit die Beklagte alles ihr Obliegende und Zumutbare getan hätte, um dies zu verhindern. Es wird nicht konkret dazu vorgetragen, warum die ARGE nicht pünktlich zahlte, so dass nicht bewertet werden kann, ob dieses Verhalten der ARGE objektiv fehlerhaft ohne Zutun der Beklagten war. Zwar kündigte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom ...05.2011 an, dass er sich erkundigen wolle, weshalb für Februar bis März 2011 gar nichts gezahlt worden sei, erklärte dann aber mit Schriftsatz vom ...07.2011 lediglich pauschal, dass die Beklagte den Zahlungsverzug nicht zu vertreten habe. Mit Schriftsatz vom ...07.2011 wurde vorgetragen, dass sich der Grund der nicht pünktlichen Zahlung der Kenntnis der Beklagten entziehe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 03.08.2011 erklärte die Beklagte sodann im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung, dass sie „jeden Tag bei der ARGE gewesen sei“ und „denen gesagt habe, dass das überprüft werden müsse“. Die ARGE habe ihr gesagt, dass die Miete versehentlich auf ihr Konto überwiesen worden sei. Sie habe deswegen ihre Kontoauszüge mitgebracht, auf denen aber zu sehen gewesen sei, dass dem nicht so gewesen sei. Das sei dann besprochen worden. Seit April sei sie jeden Tag bei der ARGE gewesen. Zuvor sei sie bereits mit dem Schreiben vom ...03.2011 am ...03. oder ...03. zur ARGE gegangen. Anschließend habe sie auch das Schreiben vom ...04.2011 bekommen, mit welchem sie auch zur ARGE gegangen sei. Die Schreiben habe sie bei der ARGE bei Herrn N abgegeben.

Abgesehen davon, dass dieser Sachvortrag von der Klägerin bestritten wurde, daraufhin auch kein Beweis angeboten wurde und dass dieser Sachvortrag auch verspätet gewesen wäre gemäß § 296 Abs. 2 ZPO, war dieser Sachvortrag auch (schon) unsubstantiiert. Es wird jedenfalls nicht konkret vorgetragen, warum die Miete nicht von der ARGE überwiesen wurde, nachdem sich das angebliche Versehen mit der Überweisung auf das eigene Konto der Beklagten nach der eigenen Darstellung der Beklagten aufgeklärt hatte (mutmaßlich, nachdem die Beklagte am ...03. oder ...03. bei der ARGE vorstellig wurde), zumal auch nicht nachvollziehbar ist, warum die ARGE plötzlich die Miete auf ein anderes Konto hätte überweisen sollen, nachdem sie diese zuvor mehrere Monate auf das Konto der Klägerin überwiesen hatte. Es wird auch nicht ansatzweise substantiiert dazu vorgetragen, warum die ARGE dann auch auf das entsprechende Schreiben der Klägerin vom ...03.2011, in dem die Klägerin explizit auf den Zahlungsrückstand hinwies und um Aufklärung bat, wer den Verzug zu vertreten hat (sogar unter Zugrundelegung der richtigen wie hier dargestellten Rechtsauffassung bezüglich des Vertretenmüssens), nicht den Rückstand beglich, sondern zunächst nur die Miete für den Monat April 2011 zahlte (Schriftsatz der Klägerin vom ...07.2011, Bl. ... GA) und wohl schon gar nicht sich dazu äußerte, dass etwa sie den Rückstand zu vertreten hätte und nicht die Beklagte. Entgegen der Ansicht der Beklagten reichen die vorgetragenen mehrfachen Aufforderungen an die ARGE, die Miete zu zahlen, aus den dargestellten Gründen nicht aus.

Therapiefreiheit gilt auch bei ALG2

Zitat:
Im vorliegenden Verfahren ist die Verpflichtung des Antragsstellers zur Durchführung einer psychiatrischen Behandlung zur Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig. Die Kammer kann bereits nicht erkennen, dass die zwangsweise Verpflichtung zur Vornahme einer solchen medizinischen Behandlung ein geeignetes Mittel darstellt, um die Leistugnsfähigkeit des Antragsstellers zu verbessern. Der Antragsteller sieht selbst nämlich keine Notwendigigkeit für eine derartige Behandlung und ist mit einer solchen Maßnahme nicht einverstanden. Für den Erfolg einer psychiatrischen Behandlung dürfte jedoch die freiwillige Teilnahme und die aktive Mitwirkung des Betroffenen Voraussetzung sein. Beides ist vorliegend (noch) nicht gegeben.

Unabhängig davon ist die Verpflichtung jedoch auch nicht zumutbar im engeren Sinne. Der mit der Behandlung verfolgte Zweck - die Verbesserung der Leistungsfähigkeit zum Zwecke der besseren Eingliederung in Arbeit - steht außer Verhältnis zu dem damit verbundenen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Antragsstellers. Die Annahme eines sanktionsbewehrten Zwangs zu vollständigen Wiederherstellung der Gesundheit und Verbesserung der Belastbarkeit greift in erheblichen Maße in das Selbstbestimmungsrecht und die Integrität des Antragstellers nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Mangels gesetzlicher Grundlage kann dieser Eingriff mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit nicht gerechtfertigt werden. Der Antragsteller muss autonom entscheiden können, ob bzw. wann er sich wegen gesundheitlicher Einschränkungen in ärztliche bzw. psychiatrische Behandlung begibt (in diesem Sinne auch SG Braunschweig, Beschluss v. 11.9.2006, S 21 AS962/06 ER, zit. nach http://www.eloforum.org). Der Antragsgegner kann insoweit lediglich (Beratungs-)Angebote unterbreiten. Eine allgemeine Verpflichtung des Leistungsempfängers zur Gesunderhaltung bzw. Gesundung besteht nicht, auch nicht aufgrund des Selbsthilfegebots nach § 2Abs. 1SGB II.


Quelle: SG Schleswig S 16 AS 158-13 ER

Das betreffende Jobcenter hatte versucht den Leistungsempfänger per Eingliederungsbescheid zu einer von ihm abgelehnten Therapie zu zwingen.

Eingliederungshilfen

Im SGB12 §53-60 werden die Ansprüche von Sozialhilfeempfängern auf behinderungsbedingte Eingliederungshilfen geregelt. Die Leistungen können im Rahmen eines Persönlichen Budgets in Form von Geld oder Gutscheinen ausgezahlt werden. Wir empfehlen in jedem Fall Leistungen selbst im Sinne des Arbeitgebermodells zu organisieren, da erfahrungsgemäß Träger solcher Leistungen, die alles bequem organisieren auch eigene Interessen vertreten, belastende Personalwechsel vornehmen können, ihre weltanschaulichen Vorstellungen durch Dienstvorschriften gegenüber dem zur Verfügung gestellten Personal ins eigene Privatleben tragen können und manchmal sogar heimlich nachteilige Berichte aufgrund von Mißverständnissen anfertigen und so erst neue Probleme mit entsprechendem Rechtfertigungsdruck auslösen können, die eventuell wieder dem Träger finanziell nutzen.

Laut dem Urteil LSG NRW, L 20 SO 289/10 B ER haben z.B. gehörlose Studenten im Rahmen der Eingliederungshilfe Anspruch auf einen Gebärdendolmetscher um universitäre Vorlesungen verfolgen zu können, was hilft ungefähr einzuschätzen welche Ersatzleistungen im Zuge mangelnden Universellen Designs eingefordert werden können:

Zitat:
Umstritten war, ob es sich dabei um Hilfeleistung zur „schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule“ im Sinne des Paragraphen 54 SGB XII handelte. Der Landschaftsverband Rheinland hatte die Leistungen nicht bewilligt, weil er die Höherqualifikation nicht als „angemessen“ beurteilte. Die Antragstellerin benötigte in seinen Augen keine Eingliederungshilfe, da sie mit ihrem erlernten Beruf ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte.

Das Gericht folgte nicht dieser Begründung. Einem nicht behinderten Menschen stünde es ohne weiteres offen, nach einer Ausbildung in einem Lehrberuf ein Studium zur Erweiterung der beruflichen Qualifikationen zu beginnen und von dieser Möglichkeit werde durchaus Gebrauch gemacht. Daher müssten auch behinderten Menschen mit bereits vorhandener Berufsausbildung in einem Lehrberuf die für ein Hochschulstudium erforderlichen behinderungsbedingten Hilfen finanziert werden.


Quelle: http://www.bhsa.de/nachrichten/gericht-bestaetigt-anspruch-auf-gebaerden...

Haushaltshilfe bei ALG2 und Sozialhilfe

Der gesetzliche Anspruch auf Haushaltshilfen wurde für Empfänger von ALG2 im Urteil LSG NRW L 20 B 9/05 SO ER bestätigt. Wenn die Haushaltshilfe nicht durch den ALG2-Satz zu bezahlen ist, gilt ergänzend das SGB12. Für Empfänger von Sozialhilfe besteht der Anspruch ebenso.

Zitat:
“Die Notwendigkeit einer Haushaltshilfe ergibt sich nicht nur dann, wenn der Hilfe Nachfragende etwa wegen Krankheit oder eines Krankenhaus- oder Kuraufenthaltes seinen Haushalt überhaupt nicht mehr versorgen kann, sondern auch dann, wenn er - wie im Fall der Antragstellerin wegen ihrer Oberschenkelamputation - wesentliche Verrichtungen wie Einkaufen, Unterbringung der gekauften Lebensmittel, Reinigung der Wohnung, Wechseln der Bettwäsche, Treppenhaus- und Gehwegreinigung nicht selbst erledigen kann. Da die Antragstellerin diese ihr zusätzlich entstehenden Kosten durch die Regelleistungen des § 20 SGB II nicht aufbringen kann und muss, weil ein derartiger Bedarf nicht abgedeckt werden soll, ein Anspruch nach § 27 Abs. 3 SGB XII schon wegen der bestehenden Bedürftigkeit ausscheidet, ist dieser bedarf durch die Übernahme der Kosten nach § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu decken.”

Quelle: http://www.my-sozialberatung.de

Mehrbedarf bei Wohnraum

Behinderungsbedingt kann ein Mehrbedarf an Wohnraum bewilligt werden. Bei ALG2 scheinen die Kreise oder Gemeinden gerne zunächst eigene pauschale Werte zu erstellen, weswegen sich derzeit auf dieser Ebene kein einheitliches Bild bietet. Bewilligt werden manchmal 10qm mehr oder auch 15qm. Diese Werte auf denen diese regionalen Ämter meist vehement beharren sind nicht unbedingt rechtmäßig. Es ist abzuwarten welche bundesweiten Standards durch die Rechtspechung geschaffen werden, denn ein bundesweiter Rechtsanspruch sollte angenommen werden können und derartige pauschale Werte gibt es in den Gesetzen nicht. Autisten könnten diesen Mehrbedarf mit der Begründung beantragen, daß für sie ihre Wohnung aufgrund der Probleme außerhalb des Privatbereichs außerordentlich wichtig ist und sie sich weit überdurchschnittlich darin aufhalten. Es kann argumentiert werden, daß klar getrennte Räumlichkeiten genötigt werden, die übersichtlich sind. Bei autistischen Kindern kann ein besonderer Bedarf an einem eigenen Zimmer in dem in angemessener Weise gespielt werden kann (z.B. Aufstellen eines Trampolins) geltend gemacht werden, wie auch ein Bedarf an einer besonders ausgeprägten Ordnung der Wohnung, die mehr Wohnfläche benötigt. Die allgemeine Rechtsgrundlage ist das derzeit (Anfang 2008) entstehende Landesrecht zur Wohnraumförderung, hier ein Beispiel:

Zitat:
“HmbWoFG § 9

Größe des Wohnraums

  1. (1) Die Größe des Wohnraums muss entsprechend seiner Zweckbestimmung angemessen sein. Dabei ist den Besonderheiten bei baulichen Maßnahmen in bestehendem Wohnraum sowie besonderen persönlichen oder beruflichen Bedürfnissen des Haushalts, insbesondere von älteren Menschen oder Menschen mit Behinderung, Rechnung zu tragen.”

Quelle: http://www.landesrecht.hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?doc....

Nach Erfahrungen kann es sinnvoll sein unter Vorlage von Versorgungsamtsausweis oder anderen Unterlagen zunächst einen Wohnberechtigungsschein zu beschaffen, der in etwa 10€ kostet und z.B. ein Jahr gültig ist. Im Rahmen der Prüfung wird nämlich auf die gleiche Rechtsgrundlage zurückgegriffen. Ein Beispiel kommunaler Informationen dazu: http://www.gotha.de/index.php?id=570

Ein Anspruch kann aber nicht nur in Bezug auf die Größe einer Wohnung gegeben sein, sondern auch in Bezug auf deren eventuell kostenträchtigeren und aus Sicht von Barrierefreiheit nötigen Lage, dazu siehe auch hier.

Allgemein leitet sich ein einzelfallbedingter, nichtpauschalisierter Rechtsanspruch aufgrund der gesetzlichen Regelungen zu ALG2 und Sozialhilfe wie folgt ab:

Zitat:
SGB2 §22,1 (ALG2)

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden angemessenen Aufwendungen erbracht. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.


Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__22.html
Zitat:
SBG12 §29,1 (Sozialhilfe)

Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 19 Abs. 1 zu berücksichtigen sind, anzuerkennen.


Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_12/__29.html

Mehrbedarfe

Als Ausgleich für autismusbedingte Nachteile bestehen unter bestimmten Umständen Ansprüche auf Mehrbedarfe. Sozialhilfeempfänger mit Merkzeichen G können so pauschal einen Zuschlag von 17% auf den ihnen persönlich zustehenden Regelsatz erhalten. Diese 17% bekommen laut dem folgend zitierten Schreiben auch Empfänger von ALG2, welche Merkzeichen G besitzen und theoretisch aufgrund des Alters oder voller Erwerbsminderung ohne Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse Anspruch auf Grundsicherung hätten:

Zitat:
“Nach § 30 Abs.1 SGB XII (Sozialhilfe) erhalten Leistungsberechtigte, die voll erwerbsgemindert [...] und im Besitz eines Ausweises nach § 69 Abs.5 SGB IX mit dem Merkzeichen G sind, Leistungen für einen Mehrbedarf in Höhe von 17 v.H. des maßgebenden Regelsatzes. Um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, ist bei den Personen, die einen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen und/oder Vermögen nicht haben, auch der nach dem SGB II zugrunde zu legende Bedarf um 17 v.H. der individuellen Regelleistung zu erhöhen.”

Quelle: Schreiben des BMWA's vom 2.9.05 an den Petitionsausschuss des Bundestags (AZ: IIB-45-Schramm-) http://www.bag-shi.de/fachinfo/sozialpol_infos/060106_Anl1_Neues_aus_Har...

Das erste Gesetzeszitat bezieht sich auf ALG2 (bekommen Erwerbsfähige), das zweite auf Sozialhilfe (bekommen nicht Erwerbsfähige). Nicht zitiert wird SGB2 §28, in dem unter anderem ein vergleichbarer Anspruch auf Mehrbedarf für Angehörige des Antragstellers geregelt wird.

Zitat:
“SGB2 § 21 Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt

  1. Leistungen für Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 5, die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind.

[...]

  1. Erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 des Zwölften Buches erbracht werden, erhalten einen Mehrbedarf von 35 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.
  2. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten einen Mehrbedarf in angemessener Höhe.
  3. Die Summe des insgesamt gezahlten Mehrbedarfs darf die Höhe der für erwerbsfähige Hilfebedürftige maßgebenden Regelleistung nicht übersteigen.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__21.html

Zitat:
“SGB12 § 30 Mehrbedarf

(1) Für Personen, die

  1. die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder
  2. die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind, und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 des Neunten Buches zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 des Neunten Buches die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

[...]

  1. Für behinderte Menschen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und denen Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 geleistet wird, wird ein Mehrbedarf von 35 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Satz 1 kann auch nach Beendigung der in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Leistungen während einer angemessenen Übergangszeit, insbesondere einer Einarbeitungszeit, angewendet werden. Absatz 1 Nr. 2 ist daneben nicht anzuwenden.
  2. Für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.
  3. Die Summe des insgesamt anzuerkennenden Mehrbedarfs darf die Höhe des maßgebenden Regelsatzes nicht übersteigen.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_12/__30.html

Autisten haben nicht selten auch Gluten- oder Lactoseallergien, die sich z.B. auf deren geistige Leistungsfähigkeit auswirken. Nach diesem Begutachtungsleitfaden ist für eine glutenfreie Kost in der Regel ein Mehrbedarf von 66,46€ anzusetzen, für lactosefreie Kost ist uns bisher kein Richtwert bekannt. Die Mehrkosten können übernommen werden, wenn eine ärztliche Bescheinigung zu dem Zusammenhang vorgelegt wird. Neben Empfehlungskatalogen wie dem folgend im Zitat genannten, welche keine Gesetzeskraft besitzen, sollte immer auch eine Einzelfallprüfung möglich sein, besonders wenn die tatsächlichen Mehrkosten höher ausfallen.

Zitat:
“In der Regel werden die Aufwendungen für Krankheiten gewährt, bei denen die Notwendigkeit einer kostenaufwändigeren Ernährung nach den Empfehlungen des Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) anerkannt sind.”

Quelle: http://www.behindertenbeauftragter.de/index.php5?nid=33

Nach der Rechtsprechung besteht nicht nur Anspruch auf Mehrbedarfe für besondere medizinisch notwendige Ernährung, sondern z.B. auch für medizinisch notwendige Pflegeprodukte. Das gilt auch, wenn die Kosten von Monat zu Monat stark schwanken. Laut BSG B 1 KR 10/07 R sind jedoch bei Übernahme der Kosten durch eine Krankenkasse die Zuzahlungen der gesetzlichen Krankenkassen von 1% der jährlichen Bruttoeinnahmen bei chronischem (dauerhaften) Bedarf und 2% bei nicht chronischem Bedarf auch bei ALG2 rechtmäßig, da ALG2 über dem verfassungsmäßig garantierten Existenzminimum liege. Zudem sei dazu besonders das Urteil SG Lüneburg S 30 AS 328/05 ER zitiert:

Zitat:
“Die im Antrag angegebene Höhe der Ausgaben mit ca. 240,-- Euro monatlich ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, jedenfalls nicht als Bedarf, der in dieser Höhe regelmäßig jeden Monat anfällt. Die (Anfang Juli) vorgelegten Nachweise für den Monat Juni belegen Kosten in Höhe von 92,67 Euro. Es ist daher davon auszugehen, dass der Bedarf entsprechend dem Gesundheitszustand von D. erheblich schwanken kann. Aus diesem Grund sind die Kosten von der Antragsgegnerin jeweils in der Höhe zu übernehmen, wie sie nachgewiesen werden.

Die Leistungen sind nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Darlehen zu erbringen. Allerdings erscheint problematisch, dass dieses Darlehen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vom Hundert der an die Antragstellerin zu zahlenden Regelleistung zu tilgen ist. Im Hinblick auf die Höhe der zu gewährenden Leistungen könnte darin möglicherweise ein Verfassungsverstoß liegen. Wie oben bereits dargelegt, ist im Rahmen des Eilverfahrens davon auszugehen, dass es sich um einen medizinisch notwendigen Bedarf an Heil- und Körperpflegeprodukten handelt. Dieser ist im speziellen Fall des Kindes D. überdurchschnittlich hoch. Aus diesem Grund reicht die Regelleistung zur Deckung des Bedarfes nicht aus. Das SGB II muss jedoch, um eine Grundsicherung zu gewährleisten, einen solchen medizinisch notwendigen Bedarf gewähren. Zwar gibt es keine Vorschrift im SGB II, wonach in besonders begründeten Einzelfällen die Regelleistungen zu erhöhen wären oder eine nicht rückzahlbare Beihilfe zu zahlen wäre. Jedoch gebietet der Individualisierungsgrundsatz, dass dieser Bedarf zu decken ist. Der Individualisierungsgrundsatz ist Ausdruck der an der Menschenwürde ausgerichteten Zielsetzung der Sozialhilfe und damit verfassungsrechtlich unverzichtbar (Brünner in LPK-SGB II, Rn. 22 zu § 20). Im früheren BSHG war der Individualisierungsgrundsatz in § 3 geregelt. Eine entsprechende Regelung findet sich heute in § 9 SGB XII; im SGB II ist jedoch keine entsprechende Vorschrift vorhanden. Eine Öffnung der Regelleistung für die individuelle Bedarfssituation ist damit weitgehend verhindert (Hauck/Noftz SGB II, Rn. 6 zu § 20). Da es jedoch - wie im vorliegenden Fall - in Einzelfällen vorkommen kann, dass die Regelleistung für den individuell anzuerkennenden Bedarf nicht ausreicht, würde in derartigen Einzelfällen die Regelleistung das soziokulturelle Existenzminimum nicht mehr abdecken. Sie wäre damit unangemessen niedrig und verfassungswidrig. In diesen Fällen ist es angebracht, im Wege der verfassungskonformen Auslegung im Einzelfall einen höheren Bedarf anzuerkennen (Eicher/Spellbrink, SGB II, Rn. 8 zu § 20; Brünner in LPK-SGB II, Rn. 23 zu § 20). Da im Fall des Kindes der Antragstellerin die Kosten für Heil- und Körperpflegemittel zur Gewährleistung der medizinischen Versorgung und zur Gesunderhaltung notwendig sind, könnte in der Rückforderung des Darlehens möglicherweise ein Verfassungsverstoß liegen, weil die Tochter der Antragstellerin dann durch Wahrnehmung ihres Grundrechtes aus Artikel 2 Grundgesetz auf Dauer finanziell benachteiligt wird.”

Quelle: http://www.my-sozialberatung.de

Anmerkungen zur Umsetzung von Assistenz

Manche Autisten sind durch langjährig aufgehäufte Belastungen in einem unpassenden Lebensumfeld psychisch so angegriffen, daß sie ihren Alltag nicht vollständig selbst gestalten können. Für eine langfristige Erholung, die manchmal auch unter optimalen Bedingungen Jahre braucht, weil innerlich entsprechend viel aufzuarbeiten ist, bedarf es einer entsprechenden Ausgestaltung der Assistenz.

Assistenz wird von vielen großen Trägern angeboten und mit vollmundigen Versprechen versehen. Leider gibt es erhebliche Risiken solcher trägerorganisierter Assistenzmodelle:

- Bevormundende Einmischungen, Verweigerung der Umsetzung von Tätigkeiten, wie der Assistenznehmer sie in Auftrag gibt
- Mangelnde Bemühungen, da der Assistenznehmer nicht ernsthaft als Auftraggeber und für die Sache maßgebliche Person erkannt wird.
- Unbekannte Dienstanweisungen an die die vom Träger angestellte Assistenzpersonen gebunden sind
- Weitgehend unkontrolliert wechselndes Personal mit jedes Mal neuen fragwürdigen Ansichten zu Autismus
- Keine vorhandene Schweigepflicht oder ggf. nur rechtlich minderwertige und ungenügende Schweigepflicht
- Führung und Archivierung von Berichten der trägerfinanzierten Assistenz über die Person der assistiert wird ohne jede Einschränkungen bezüglich von Fragen der Intimität die noch nach vielen Jahren mit eventuell massenhaft hineingeschriebenen Mißverständnissen hervorgeholt werden kann und im ungünstigsten Fall auch zwischen Stellen herumgereicht wird (Datenschutzvorgaben, sofern formal überhaupt vorhanden, werden oft völlig ohne jedes Schuldbewußtsein nicht eingehalten). Besonders gefährlich in Regionen, in denen "Landschaftsverbände" als Sozialamt und Anbieter von Assistenzleistungen zugleich fungieren.
- Allgemein mangelndes Gefahrenbewußtsein bei der Verwaltung sensibler Daten in EVD-Systemen, in einem Fall standen tausende psychiatrische Akten eines Trägers aufgrund eines "Programmierfehlers" frei abrufbar im Internet.
- Anfertigung von Berichten für dritte Stellen die Gerichte in Betreuungssachen ohne Frage um Erlaubnis oder auch nur Benachrichtigung, daß ein solcher Bericht verfasst wurde

Aus der Erfahrung stellte sich für uns manchmal die Frage, ob solche Angebote tatsächlich vielleicht vor allem den Zweck verfolgen die betreffenden Personen zu überwachen und dafür mit dem eigentlich nicht sehr wichtig genommenen Köder "Assistenz" lockt.

Deswegen raten wir grundsätzlich davon ab und verweisen auf das "Arbeitgebermodell" beziehungsweise das "Persönliche Budget" hinweisen möchten, bei welchem die assistierende Person direkt angestellt werden kann. Wenn es bei Durchsetzung und Verwaltung Probleme gibt hilft die ESH. Eine trägerorganisierte erscheint oft zunächst einfacher und problemloser, weil man sich selbst ersteinmal um wenig kümmern muß. Sie kostet den Staat jedoch erheblich mehr für oft minderwertige Leistung. Z.B. kostet den Staat die trägerorganisierte Assistenz im Rahmen eines ambulant betreuten Wohnens 1000€ für 20 Stunden im Monat (50€ pro Stunde). Im Rahmen des Persönlichen Budgets wird in der Regel versucht diese Summe für die gleiche Leistungsbeschreibung auf einen Bruchteil zu kürzen.

Assistenz wird heute noch immer teilweise dazu eingesetzt um mangelnde Bereitschaft zu Barrierefreiheit in anderen Stellen "bequem" (aber teuer für die Allgemeinheit) aus Sicht der Träger und Ämter zu umgehen. Hierzu sei deutlich angemerkt, daß Assistenz hierfür nicht eingesetzt werden soll, da der einzig richtige Weg die Durchsetzung der Barrierefreiheit und somit des rechtlichen Anspruchs auf weitgehende Selbstständigkeit ist.

Familienversicherung für erwachsene Behinderte in der GKV

In ähnlicher Weise wie beim Kindergeld nach EStG können Eltern, die in einer gesetzlichen Krankenversicherung (und analog in der gesetzlichen Pflegeversicherung) versichert sind, die Fortsetzung der Familienversicherung wegen einer Behinderung auch über die üblichen Altersgrenzen hinaus beantragen. Die rechtliche Grundlage hierfür ist SGB5 §10:

Zitat:
“(2) Kinder sind versichert [...]

  1. ohne Altersgrenze, wenn sie als behinderte Menschen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches) außerstande sind, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, daß die Behinderung zu einem Zeitpunkt vorlag, in dem das Kind nach Nummer 1, 2 oder 3 versichert war.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__10.html

Ein wesentlicher Unterschied zum Kindergeld ist der, daß der Anspruch auf Familienversicherung nach der, wenn auch wohl nicht ganz eindeutigen, geltenden Rechtsprechung vorausschauend bewertet wird, also eine rückwirkende Familienversicherung schwierig durchzusetzen ist. Daher sollte bei einer Diagnose im Erwachsenenalter so früh wie möglich die gesetzliche Krankenkasse informiert werden. Sinnvoll ist dies durchaus auch vor einer Diagnosestellung, auch wenn der Antrag dann erst viel später entschieden wird.

Vergünstigungen nach EStG für Autisten

Für Autisten als bestätigterweise von der statistischen Durchschnittsbevölkerung abweichende Personen existieren verschiedene Vergünstigungen im Steuerrecht. Ansprüche sollten durch Schwerbehindertenausweis oder ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden können, auch wenn die Pauschbeträge ausschließlich an eine Anerkennung nach SGB9 (Versorgungsamt) gekoppelt sind, denn im EStG wird anscheinend kein expliziter Bezug zum SGB9 hergestellt. Kindergeld kann auch an einen Autisten selbst ausgezahlt werden, dazu siehe die Kapitel zum Kindergeld weiter unten.

Aufwendungen als Werbungskosten oder Betriebsausgaben

Für Fahrten zwischen Arbeitsstätte und Wohnung mit dem eigenen Kfz können nachgewiesene tatsächliche Kosten auch über der gültigen Kilometerpauschale abgesetzt werden, wenn der GdB mindestens 70 oder mindestens 50 mit Merkzeichen G beträgt. Wird ein solcher Autist von jemand anderem im eigenen Kfz gefahren, weil der Autist keine gültige Fahrerlaubnis besitzt oder seine Fahrerlaubnis aus mit dem Autismus zusammenhängenden Gründen nicht gebraucht können auch die entstehenden Leerfahren abgesetzt werden, die dadurch entstehen, daß der Fahrer zwischenzeitlich wieder nachhause fährt. Auch z.B. Antimobbingseminare sind bei Beruftätigen als Werbungskosten absetzbar, wenn das Mobbing gegenüber dem Finanzamt z.B. mit einem Mobbingtagebch glaubhaft gemacht wird. "Die Gespräche während der Gruppenabende dienten dazu, ihn in seiner beruflichen Situation zu stärken und das Dienstverhältnis aufrechtzuerhalten" FG Niedersachsen, Urteil vom 8.6.2006, Az. 14 K 57/03. Das Urteil ist rechtskräftig laut BFH-Beschluss vom 1.3.2007, Az. VI B 92/06.

Außergewöhnliche Belastungen

Zitat:
"§ 33 Außergewöhnliche Belastungen
(1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
(2) Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören oder unter § 4f oder § 9 Abs. 5 fallen, bleiben dabei außer Betracht; das gilt für Aufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7 und 9 nur insoweit, als sie als Sonderausgaben abgezogen werden können. Aufwendungen, die durch Diätverpflegung entstehen, können nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
[...]
Als Kinder des Steuerpflichtigen zählen die, für die er Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 oder auf Kindergeld hat."

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/estg/__33.html

Fallen in bestimmten Bereichen höhere außergewöhnliche Belastungen an, als der jeweilige Pauschbetrag gemäß GdB oder Merkzeichen H unter Berücksichtigung der jeweiligen zumutbaren Belastung beträgt (siehe weiter unten), können diese teilweise anstatt des Pauschbetrags einzeln belegt und abgesetzt werden. Dazu bedarf es nach neuester BFH-Rechtsprechung (Az. VI R 17/09 und VI R 16/09) nur eines normalen ärztlichen Attests. Früher verlangten Finanzämter teilweise das Gutachten eines Amtsarztes. (Quelle: http://www.ftd.de/karriere-management/recht-steuern/:recht-steuern-bunde... ) Es kann steuerlich Sinn machen große abzugsfähige Anschaffungen gezielt in einem Jahr vorzunehmen (vorher nachfragen, ob etwas tatsächlich anerkannt wird und die Auskunft schriftlich geben lassen!). Es gibt allerdings auch außergewöhnliche Belastungen, die direkt geltend gemacht werden können, ohne daß der Pauschbetrag betroffen wäre (siehe zweite Liste weiter unten). Kosten, die bereits die Krankenkasse übernahm können vermutlich bis auf mögliche Eigenanteile nicht abgesetzt werden. Pauschbetrag, Freibeträge, Werbungs- und sonstige absehbare Kosten auf Antrag unter Umständen in der Lohnsteuerkarte eingetragen werden, um die laufend abgeführten Steuern zu mindern. Solche anstelle des Pauschbetrags ansetzbare Belastungen im Sinne des Steuerrechts sind z.B. (wer etwas anerkannt bekam, das nicht unten als Beispiel genannt wird, soll das gerne mitteilen, zwecks Vervollständigung dieser Seiten):

  • Besondere Einbauten in der Wohnung, die im allgemeinen wegen mangelnder Nachfrage durch die Durchschnittsbevölkerung zu keinem entsprechenden Gegenwert führen, z.B. ein Floatingtank zur Entspannung oder Snoezelutensilien
  • Hilfsmittel, wie z.B. unter Umständen eine Sqeezebox, ein Dreirad oder IRLEN-Brillen (kommt auf den Einzelfall und den Sachbearbeiter an, im Zweifel kann vor der Anschaffung nachgefragt werden, ob diese dementsprechend anerkannt würde, bei Ablehnung zwecks Unterstützung eventuell Rücksprache mit der Enthinderungs-SH halten)
  • Mehraufwand an Wäsche
  • regelmäßige Kosten für Therapien und Arzneien bezüglich durch gesellschaftliche Diskriminierung hervorgerufene Krankheiten
  • laut Gesetz wie oben nachzulesen ausdrücklich nicht in diesem Sinne abzugsfähig sind Kosten für spezielle Nahrungsmittel

Die jeweilige zumutbare Belastung wird in % des Jahreseinkommens bestimmt und ist laut §33,3 EStG (der oben im Gesetzesauszug nicht zitierten Tabelle) vom Einkommen, sowie von der Berechnungsgrundlage der Einkommensteuer und vom Vorhandensein von Kindern abhängig:

  • Bei einem Jahreseinkommen bis 15.340€ beträgt die zumutbare Belastung bei einer Besteuerung nach der Grundtabelle 5% desselben; bei einer Besteuerung nach der Splittingtabelle 4%; beim Vorhandensein von bis zu zwei Kindern 2%; beim Vorhandensein von drei oder mehr Kindern 1%
  • Bei einem Jahreseinkommen von 15.341€ bis 51.130€ beträgt die zumutbare Belastung bei einer Besteuerung nach der Grundtabelle 6% desselben; bei einer Besteuerung nach der Splittingtabelle 5%; beim Vorhandensein von bis zu zwei Kindern 3%; beim Vorhandensein von drei oder mehr Kindern 1%
  • Bei einem Jahreseinkommen über 51.130€ beträgt die zumutbare Belastung bei einer Besteuerung nach der Grundtabelle 7% desselben; bei einer Besteuerung nach der Splittingtabelle 6%; beim Vorhandensein von bis zu zwei Kindern 4%; beim Vorhandensein von drei oder mehr Kindern 2%

Ob der Pauschbetrag demnach tatsächlich übertroffen werden kann, läßt sich bestimmen, indem man den vorliegenden Pauschbetrag und die jeweilige zumutbare Belastung zusammenrechnet. Darüber hinaus können wie oben schon erwähnt weitere Ausgaben neben den Pauschbeträgen abgerechnet werden.

Zitat:
§ 33a Außergewöhnliche Belastung in besonderen Fällen

[...]

(3) Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen durch die Beschäftigung einer Hilfe im Haushalt, so können sie bis zu den folgenden Höchstbeträgen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden:

624 Euro im Kalenderjahr, wenn

  1. der Steuerpflichtige oder sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte das 60. Lebensjahr vollendet hat oder

  2. wegen Krankheit des Steuerpflichtigen oder seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder eines zu seinem Haushalt gehörigen Kindes, für das er oder sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 oder auf Kindergeld hat, oder einer anderen zu seinem Haushalt gehörigen unterhaltenen Person, für die eine Ermäßigung nach Absatz 1 gewährt wird, die Beschäftigung einer Hilfe im Haushalt erforderlich ist,

924 Euro im Kalenderjahr, wenn eine der in Nummer 1 Buchstabe b genannten Personen hilflos im Sinne des § 33b oder schwer behindert ist.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege Aufwendungen, die Kosten für Dienstleistungen enthalten, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind, so können sie bis zu den folgenden Höchstbeträgen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden:

624 Euro, wenn der Steuerpflichtige oder sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte in einem Heim untergebracht ist, ohne pflegebedürftig zu sein,
924 Euro, wenn die Unterbringung zur dauernden Pflege erfolgt.
Die jeweiligen Höchstbeträge der Sätze 1 und 2 können auch bei Ehegatten, bei denen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 vorliegen, insgesamt nur einmal abgezogen werden, es sei denn, die Ehegatten sind wegen Pflegebedürftigkeit eines der Ehegatten an einer gemeinsamen Haushaltsführung gehindert.

(4) Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die in den Absätzen 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, ermäßigen sich die dort bezeichneten Beträge um je ein Zwölftel. Eigene Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person oder des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, vermindern die nach Satz 1 ermäßigten Höchstbeträge und Freibeträge nicht. Als Ausbildungshilfe bezogene Zuschüsse mindern nur die zeitanteiligen Höchstbeträge und Freibeträge der Kalendermonate, für die die Zuschüsse bestimmt sind.

(5) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann wegen der in diesen Vorschriften bezeichneten Aufwendungen der Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung nach § 33 nicht in Anspruch nehmen...


Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/estg/__33a.html

Zitat:
Durch die wahlweise Berücksichtigung der behinderungsbedingten Aufwendungen in Form der um die zumutbare Belastung geminderten tatsächlichen Aufwendungen oder des Behinderten Pauschbetrags [sic!] werden nur die durch die Behinderung laufend unmittelbar entstehenden Mehraufwendungen (typische Mehraufwendungen) berücksichtigt. Entstehen dem behinderten Menschen darüber hinaus noch andere Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu behandeln sind, können diese zusätzlich zum Abzug gebracht werden.

Quelle (eine zu diesem Thema allgemein brauchbare Broschüre des Finanzministeriums Baden-Württemberg): www.u-asta.uni-freiburg.de/engagement/referate/soh/steuertipps.pdf
Als Außergewöhnliche Belastungen, die neben dem Pauschbetrag unter Berücksichtigung der zumutbaren Belastung abgesetzt werden können, kommen im Klartext z.B. in Betracht, sofern diese Posten nicht von anderen Stellen übernommen werden oder wurden:
  • Aufwendungen für Haushaltshelfer (z.B. für putzen, kochen, waschen, einkaufen), sofern diese erforderlich sind, bis zu einem Höchstbetrag von 624€ pro Jahr. Liegt ein GdB von mindestens 50 oder Merkzeichen H vor erhöht sich der Betrag auf 924€ pro Jahr. Verheiratete, die nicht dauerhaft getrennt leben können zusammen nur einmal die genannten Beträge absetzen, auch wenn beide einzeln die Voraussetzungen erfüllen würden.
  • Außerordentliche Krankheitskosten, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behinderung stehen. Solche Krankheitskosten können aber auch eine Folge der Behinderung sein (was bei Autisten ja vieles ist) und durch einen "akuten" Anlaß verursacht worden sein. Das wären z.B. selbst zu tragende Kostenanteile bei Zahnarzt und Optiker, für Operationen, für Hilfsmittel wie Einlagen für Schuhe, eigene Kostenanteile für Arzneien und sonstige Heilmittel oder für Therapien aufgrund von akuten Problemen mit dem Lebensumfeld, etc.
  • Infolge der Behinderung entstehende "angemessene" private Kfz-Kosten, die nicht Werbungskosten Betriebsausgaben oder Sonderausgaben darstellen. Die Fahrten können auch Fahrten sein, bei denen ein Autist im eigenen Interesse von anderen in deren Pkw gefahren wurde. Bei Fahrten mit dem Taxi oder anderen Verkehrsmitteln kann die Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten beantragt werden. Aus Vereinfachungsgründen wird bei Personen mit GdB 80 oder GdB 70 und Merkzeichen G offenbar eine jährliche Fahrleistung von bis zu 3000km als angemessen angesehen, wobei in der Regel jeder km mit 0,30€ veranschlagt wird. Bei Inhaber des Merkzeichens H erhöht sich diese Summe auf 15.000km jährlich. Die reale Fahrleistung bis zu diesen Werten ist nachzuweisen. Im Einzelfall kann auch eine höhere Fahrleistung anerkannt werden, wenn die Ursache eine "spezielle Behinderung" ist und der Umstand nachgewiesen wird, wozu die Führung eines (kommentierten?) Fahrtenbuchs empfohlen wird. Im Einzelfall kann auch ein höherer Kostensatz pro km angesetzt werden, z.B. wenn die Fahrleistung behinderungsbedingt besonders gering war oder Spezialfahrzeuge verwendet werden.
  • Bei "ständiger Pflegebedürftigkeit" (siehe auch die sinngemäßen Anmerkungen zu Merkzeichen H auf der Seite zu den Merkzeichen) Aufwendungen für ambulante Pflegekräfte. Voraussetzung ist Pflegebedürftigkeit im Sinne des §14 SGB11 und kann durch Merkzeichen H oder die Bewilligung einer Pflegestufe nachgewiesen werden.
  • Aufwendungen für verordnete Kuren, bei denen man sich in ärztlicher Behandlung befindet. Näheres siehe oben verlinkte Broschüre des Finanzministeriums Baden-Württemberg, S. 16-17.

Kindergeld für behinderte Erwachsene

Autisten, die wegen ihrer Behinderungen außerstande sind ihren Lebensunterhalt zu bestreiten sind Kinder nach §32 EStG: Dementsprechend ist den Eltern für sie Kindergeld oder der Kinderfreibetrag zu gewähren. Das Kindergeld kann auf Antrag auch dem Autisten selbst ausgezahlt werden. Kindergeld ist rechtlich gesehen übrigens zu großen Teilen ein Ausgleich für die Besteuerung des Existenzminimums von Kindern und keine Sozialleistung.

Zitat:
“(4) Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird berücksichtigt, wenn es
[...]
3. wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/estg/__32.html

Die Altersgrenze im EStG §32
Da Autismus immer von Geburt an besteht, ist die Altersgrenze des Eintritts der Behinderung vor 27. oder heute 25. Lebensjahr (Geburtsjahr bis 1981: bis 27; Geburtsjahr 1982: bis 26; Geburtsjahr ab 1983: bis 25) eigentlich nicht zweifelhaft. Aber manche Familienkasse macht schon hierbei trotzdem Ärger. Daher ist es sinnvoll sich ein ärztliches Attest zu besorgen, in dem bestätigt wird, daß Autismus seit der Geburt besteht und lebenslang Bestand haben wird.
Wenn keine rückwirkende Feststellung durch das Versorgungsamt erfolgte, ist das nicht weiter schlimm, denn das bedeutet nicht automatisch, daß das Versorgungsamt das Bestehen seit Geburt bezweifelt. Das Versorgungsamt stellt die Behinderung nämlich in der Regel gemäß SchwbAwV §6 nur rückwirkend unter der zusätzlichen Bedingung eines “besonderen Interesses” fest:

Zitat:
“Ist auf Antrag des schwerbehinderten Menschen nach Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses festgestellt worden, daß die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, ein anderer Grad der Behinderung oder ein oder mehrere gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, ist zusätzlich das Datum einzutragen, von dem ab die jeweiligen Voraussetzungen mit dem Ausweis nachgewiesen werden können.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/schwbawv/__6.html

Hierzu ergängend ein Zitat aus einem Urteil, das verdeutlicht, daß das Interesse an der Bewilligung von Kindergeld kein besonderes Interesse gemäß SchwbAwV darstellt:

Zitat:
“Denn - und so hat es das zuständige Arbeitsamt in den vorgelegten Bescheiden auch ausgeführt - die Gewährung des Kindergeldes hängt nicht davon ab, ob ein GdB von 50 vorliegt, sondern davon, ob der Betroffene wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und dass diese Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommenssteuergesetzes - EStG -). Der festgestellte GdB kann insofern zwar als Nachweis einer Behinderung dienen. Jedoch genügt auch ein GdB von 30 in Verbindung mit der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX (vgl. Glanegger in Schmidt, EstG, 21. Auflage 2002, § 32 Rn. 50 sowie Einkommmenssteuer-Richtlinien 1999 bzw. 2003, R 180d). Deshalb mag zwar ein GdB von 50 eine Indizwirkung für die Feststellung des Umfangs der Behinderung im kindergeldrechtlichen Sinne und die dort nötige Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Behinderung und der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt haben. Rechtliche Voraussetzung für einen Kindergeldanspruch ist er aber nicht, zumal der Behinderungsbegriff des EStG nicht identisch mit dem GdB des SGB IX ist (vgl. hierzu ausführlich: Seewald/Felix, Kindergeldrecht, Stand: 12/98, § 63 EStG, Rn. 292 ff.). Es obliegt deshalb den für die Kindergeldgewährung zuständigen Behörden, die Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs ggf. rückwirkend zu prüfen, nicht aber den Versorgungsbehörden mittels Feststellung des GdB. Dies gilt ganz besonders angesichts der beschriebenen, mit einer rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 verbundenen Probleme, so dass sich das besondere Interesse im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 SchwbAwV auf diese Weise nicht begründen lässt.”

Quelle: SG Dresden vom 9. Dezember 2004 - Az.: S 7 SB 340/02 http://www.anhaltspunkte.de/rspr/urteile/S_7_SB_340.02.htm

Ursächlichkeit der Behinderung
Zunächst ein Zitat aus der offiziellen Dienstanweisung, nach der die Familienkasse den Antrag beurteilen sollte, der DA-FamEStG 63.3.6.3.1:

Zitat:
“(1) Die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit wird grundsätzlich zu verneinen sein, wenn der Grad der Behinderung weniger als 50 beträgt und besondere Umstände dafür, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann, nicht ersichtlich sind. Es ist unbeachtlich, ob die mögliche Erwerbstätigkeit dem behinderten Menschen nach seinem derzeitigen Bildungs- und Ausbildungsstand zugemutet werden kann. Allein die Feststellung eines sehr hohen Grades der Behinderung rechtfertigt die Annahme der Ursächlichkeit nicht.
(2) Die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit kann grundsätzlich angenommen werden, wenn
– im Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch oder im Feststellungsbescheid das Merkmal „H“ (hilflos) eingetragen ist oder
– der Grad der Behinderung 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (z.B. Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen).
Dem Merkzeichen „H“ steht die Einstufung als Schwerstpflegebedürftiger in Pflegestufe III nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundessozialhilfegesetz oder diesen entsprechenden Bestimmungen gleich; diese ist durch Vorlage des entsprechenden Bescheides nachzuweisen.
(3) Bestehen Zweifel an der Ursächlichkeit der Behinderung, ist eine Stellungnahme der Reha/SB-Stelle der Agentur für Arbeit darüber einzuholen, ob die Voraussetzungen für eine Mehrfachanrechnung nach §76 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch erfüllt sind. Liegen die Voraussetzungen vor, ist das Kind zu berücksichtigen, auch wenn es eine Erwerbstätigkeit von mehr als 15 Stunden wöchentlich (vgl. Abs. 4) ausüben könnte. Der Anspruch ist jährlich zu prüfen. Für die Anfrage ist der Vordruck KG 4a zu verwenden. Der Feststellungsbescheid und ggf. vorhandene ärztliche Bescheinigungen sind beizufügen. Ist der Reha/SB-Stelle der Agentur für Arbeit mangels hinreichender Unterlagen eine Stellungnahme nicht möglich, teilt sie dies auf der Rückseite des Vordrucks KG 4a der Familienkasse mit. In diesem Fall ist dem Antragsteller unter Verwendung des Vordrucks KG 4b vorzuschlagen, das Kind durch den Ärztlichen/Psychologischen Dienst der Agentur für Arbeit begutachten zu lassen. Dabei ist er auf die Rechtsfolgen der Nichtfeststellbarkeit der Anspruchsvoraussetzungen hinzuweisen. Wird die Begutachtung verweigert, so ist der Antrag abzulehnen. Sofern der Berechtigte innerhalb der gesetzten Frist nicht widerspricht, leitet die Familienkasse erneut eine Anfrage der Reha/SB-Stelle zu, die ihrerseits die Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst und ggf. den Psychologischen Dienst veranlasst. Das Gutachten ist an die Reha/SB-Stelle zu senden, damit diese die Anfrage der Familienkasse beantworten kann. Das Gutachten verbleibt bei der Reha/SB-Stelle. Erscheint das Kind ohne Angabe von Gründen nicht zur Begutachtung, gibt der Ärztliche Dienst/Psychologische Dienst die Unterlagen an die Reha/SB-Stelle zurück, die ihrerseits die Familienkasse unterrichtet. Diese entscheidet dann unter Einbeziehung der Stellungnahme der Reha/SB-Stelle.
(4) Kann nach den Abs. 1 bis 3 nicht festgestellt werden, ob die Behinderung die Ursache für die Unfähigkeit des Kindes ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, so ist eine Stellungnahme der Reha/SB-Stelle der Agentur für Arbeit zu der Frage einzuholen, ob das Kind nach Art und Umfang seiner Behinderung in der Lage ist, eine arbeitslosen-versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Ist das Kind hierzu nicht in der Lage, kann unterstellt werden, dass die Behinderung der Grund für die Erwerbslosigkeit ist. Für das Verfahren gilt Abs. 3.
(5) Ein über 27 Jahre altes Kind, das wegen seiner Behinderung noch in Schul- oder Berufsausbildung steht, ist in jedem Fall als unfähig zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit anzusehen. Es kann unterstellt werden, dass die Behinderung der Grund für die Verlängerung ist, wenn der Grad der Behinderung 50 oder mehr beträgt.”

Quelle: Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG); Linkquelle

Einen ausdrücklichen Hinweis wert dürfte in dieser Darstellung besonders die Koppelung von Merkzeichen H an die dann als erfüllt anzusehende Ursächlichkeit aus Punkt 2 sein. Denn wie auf dieser Seite im Kapitel zu Merkzeichen H nachzulesen ist, ist bei Autisten Merkzeichen H nach AHP regelhaft bis zum 16. Lebensjahr zu gewähren. Deswegen sollte bei Autisten in jedem Fall eine Ursächlichkeit weit vor der Altersgrenze vorgelegen haben, da Autismus bekanntlich angeboren ist und bis zum 16. Lebensjahr also ein klarer Anspruch auf H bestanden hätte, auch wenn die Diagnose erst viel später bestellt wurde. Im übrigen wird weiter unten eine Passage zitiert, die verdeutlicht, daß die Unfähigkeit seinen Lebensunterhalt ökonomisch selbst zu bewerkstelligen theoretisch sogar gar nicht nicht vorm Erreichen der Altersgrenze bestanden haben muß, sondern nur die Behinderung an sich, was von Ämtern manchmal anders behauptet wird.
Der zitierte Text ist kein Gesetz, sondern nur eine Dienstanweisung, daher ist die Rechtsprechung maßgeblich, hierzu dies:

Zitat:
“Macht die Kindergeldkasse Ihnen das Kindergeld streitig, weil Ihr Kind zum Beispiel der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand, sollten Sie sich wehren. Die Behinderung muss nämlich nicht alleiniger Grund sein. Eine Mitverursachung durch die Behinderung reicht aus (FG Sachsen 1 K 1565/04 (Kg) vom 26.06.2006, EFG 2006, Seite 50).
Das letzte Wort hat allerdings der BFH. Stützen Sie deshalb Ihren Einspruch gegen den ablehnenden Kindergeldbescheid auf die Revision III R 72/06 und beantragen Sie das Ruhen des Verfahrens.”

Quelle: http://www.steuertipps.de/?menuID=8&navID=17&softlinkID=9613&softCache=true
Zitat:
“Das Finanzgericht Düsseldorf stellte klar, dass es nicht darauf ankomme, ob eine Person theoretisch in der Lage ist zu arbeiten. Entscheidend sei, ob die Aussicht auf einen Job realistisch ist (FG Düsseldorf vom 8.2.2007, Az. 14 K 5102/05 Kg).
Im Klartext: Die Familienkasse muss den Eltern Kindergeld zahlen, wenn

  • dem Kind eine Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent bescheinigt wurde und
  • die Arbeitsagentur es trotz dauerhafter Bemühungen nicht schafft, dem Kind eine Stelle zu vermitteln.

Unter diesen Voraussetzungen greift eine Vereinfachungsregelung der
Finanzverwaltung: Es liegen “besondere Umstände” vor, die eine Erwerbstätigkeit des Kindes ausgeschlossen scheinen lassen (H 32.9 EStH).
Das Finanzamt hat gegen das Urteil Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt. Betroffene Eltern sollten in vergleichbaren Fällen Einspruch einlegen. Verweisen Sie auf die anhängige Revision III R 16/07 und beantragen Sie Ruhen des Verfahrens. Übrigens: Der Ausgang des Verfahrens gewinnt künftig an Bedeutung, denn die Altersgrenze für das Kindergeld wird von 27 auf 25 Jahre herabgesetzt.”


Quelle: http://www.steuertipps.de/?menuID=8&navID=17&softlinkID=9937&softCache=true

Sonstige Voraussetzungen

  • Das Vermögen des “Kindes” darf nicht berücksichtigt werden und muß daher im Antrag nicht mitgeteilt werden:
    “Bislang durfte das Kind kein verwertbares eigenes Vermögen über 15.500,- Euro besitzen. Diese Regelung wurde vom Bundesfinanzhof außer Kraft gesetzt (Urteile vom 19. August 2002, Aktenzeichen VIII R 17/02 und VIII R 51/01). Das Vermögen wird also bei der Frage, ob ein Kind in der Lage ist sich selbst zu unterhalten nicht mehr berücksichtigt! Diese Regelung betrifft volljährige Menschen mit Behinderung, egal ob diese das 27. Lebensjahr bereits vollendet haben oder nicht.”
    Quelle: http://www.intakt.info/80-0-kindergeld-fuer-volljaehrige-kinder.html
  • Die Behinderung kann auch ohne Versorgungsamtsfeststellung gegenüber der Familienkasse durch eine ärztlichen Bescheinigung, durch eine Bescheinigung der Pflegestufe 3 oder einen behinderungsbegründeten Rentenbescheid belegt werden.
  • Zitat:
  • DA-FamEStG 63.3.6.1.5: “Seine Behinderung [die des “Kindes”] muss vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sein, nicht jedoch die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten.”
  • Wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, indem er aus Erwerbsarbeit, Renten, etc. ein Einkommen erzielt, das über dem des Grenzbetrages nach EStG zusammen mit dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf liegt hat keinen Anspruch auf Kindergeld. Der Grundbetrag ist derzeit 7680€ pro Jahr, dazu kommt bei Berufstätigkeit (auch in einer WfbM) der Arbeitnehmerpauschbetrag von 920€ und der Betrag gemäß GdB-Liste oder Merkzeichen H. Diese Grenzen können höher ausfallen, manche Einkommen dürfen nicht angerechnet
    werden, etwa Eingliederungshilfe.
  • Wenn die Eltern nicht mehr am Leben sind kann der Kindergeldanspruch, der normalerweise ein Anspruch der Eltern ist, auf das Kind übergehen. Die Eltern können den Anspruch auch zu Lebzeiten freiwillig an das Kind abtreten.

Vergünstigungen nach EStG für Angehörige

Es bestehen auch verschiedene Möglichkeiten für Angehörige von Autisten im Steuerrecht Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Im Prinzip gilt das für alle oben beschriebenen Steuervergünstigungen gemäß §33 EStG auf Antrag, die auch Autisten selbst bei der eigenen Steuererklärung geltend machen können. Das Kriterium für eine Übernahme solcher Kosten ist, daß die betreffende Person sich den nachzuweisenden Aufwendungen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Kosten dürfen nur einmal bei einer Person abgesetzt werden und nicht doppelt einmal beim Autisten selbst und nochmal bei einem Angehörigen. Verfügt der Autist selbst über "genug" eigene Einkünfte, kann eine fehlende Zwangsläufigkeit der Kostenübernahme unterstellt und die Anrechnung abgelehnt werden.

Der Pauschbetrag aufgrund eines GdB oder Merkzeichen H kann auf die Eltern oder unter Umständen sonstige entsprechende Angehörige mit einem Kindergeldanspruch für den Autisten übertragen werden, wenn der Pauschbetrag vom Autisten selbst nicht genutzt wird. Haben mehrere Personen (z.B. beide Eltern) Kindergeldanspruch für den Autisten, kann der Pauschbetrag unter diesen Personen je nach Antrag dieser Personen aufgeteilt werden. Auch hier können Pauschbetrag, Freibeträge, Werbungs- und sonstige absehbare Kosten auf Antrag in etlichen Fällen in der Lohnsteuerkarte eingetragen werden, um die laufend abgeführten Steuern zu mindern.

Eltern oder unter Umständen andere entsprechende Angehörige eines Autisten (meist ein Kind) können zudem Kosten für den Besuch des Autisten an einer Privatschule (insbesonders Schulgeld, eventuell auch Fahrtkosten der Eltern in ein Internat oder des Autisten von dort nachhause und andere Mehraufwendungen) als außergewöhnliche Belastung geltend machen, wenn das Oberschulamt bestätigt hat, daß wegen autistischer Eigenschaften ein geeigneter Schul- oder Berufsabschluß nicht an einer öffentlichen oder privaten schulgeldfreien Schule möglich ist oder eine solche geeignete Einrichtung nicht in zumutbarer Weise erreichbar ist. Diese Kosten sind auch neben dem Pauschbetrag absetzbar.

Insbesondere wenn der Pauschbetrag auf Angehörige eines Autisten übertragen wurde, können von diesen Angehörigen Fahrtkosten wie vom Autisten selbst geltend gemacht werden, wenn die Fahrten "behinderungsbedingt und unvermeidbar" waren, jedoch nur, wenn der Autist mitgefahren ist oder die Fahrt im Interesse des Autisten vorgenommen wurde.

Wer einen gemäß §33b,6 EStG "hilflosen" Autisten (einfachster Nachweis: Merkzeichen H) ohne Entgelt oder Aufwandsentschädigung - es sei denn solche zur Verfügung gestellten Mittel werden wieder zur unmittelbaren Sicherung der "Pflege" verwendet - zumindest teilweise persönlich in Bereichen unterstützt, die als Bereiche der Pflege definiert werden, kann die ihm entstehenden außergewöhnlichen Belastungen im oben beschriebenen Sinne einzeln direkt absetzen oder auch in Form des Pflegepauschbetrags von 924€ pro Jahr. Erfolgt solche Pflege durch mehrere Personen, wird der Pauschbetrag entsprechend aufgeteilt.

Hinterbliebenenversorgung nach BeamtVG und SVG (sowie SGB7)

Autisten, die nicht ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften in der Lage sind und die Kinder von verstorbenen Beamten oder Soldaten sind, haben analog zum erwähnten Kindergeldanspruch prinzipiell auch Anspruch auf Halbwaisen- und Vollwaisenrente und zwar hier gemäß BeamtVG §61 und SVG §59 (im Wesentlichen gleichlautend):

Zitat:
“(2) Das Waisengeld wird nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres auf Antrag gewährt, solange die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a, b und d, Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1, 2 und 4 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung genannten Voraussetzungen gegeben sind. Im Falle einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung wird das Waisengeld ungeachtet der Höhe eines eigenen Einkommens dem Grunde nach gewährt; soweit ein eigenes Einkommen der Waise das Zweifache des Mindestvollwaisengeldes (§ 14 Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit § 24 Abs. 1) übersteigt, wird es zur Hälfte auf das Waisengeld zuzüglich des Unterschiedsbetrages (§ 50 Abs. 1) angerechnet. Das Waisengeld nach Satz 2 wird über das siebenundzwanzigste Lebensjahr hinaus nur gewährt, wenn

  1. die Behinderung bei Vollendung des siebenundzwanzigsten Lebensjahres bestanden hat oder bis zu dem sich nach § 32 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung ergebenden Zeitpunkt eingetreten ist, wenn die Waise sich in verzögerter Schul- oder Berufsausbildung befunden hat, und
  2. 2. die Waise ledig oder verwitwet ist oder ihr Ehegatte oder früherer Ehegatte ihr keinen ausreichenden Unterhalt leisten kann oder dem Grunde nach nicht unterhaltspflichtig ist und sie nicht unterhält.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/beamtvg/__61.html

Zitat:
“(2) Das Waisengeld wird nach Vollendung des 18. Lebensjahres auf Antrag gewährt, solange die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a, b und d, Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1, 2 und 4 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung genannten Voraussetzungen gegeben sind. Im Falle einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung wird das Waisengeld ungeachtet der Höhe eines eigenen Einkommens dem Grunde nach gewährt; soweit ein eigenes Einkommen der Waise das Zweifache des Mindestvollwaisengeldes (§ 26 Abs. 7 Satz 2 und § 43 Abs. 1 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 24 Abs. 1 des Beamtenversorgungsgesetzes) übersteigt, wird es zur Hälfte auf das Waisengeld zuzüglich des Unterschiedsbetrages nach § 47 Abs. 1 angerechnet. Das Waisengeld nach Satz 2 wird über das 27. Lebensjahr hinaus nur gewährt, wenn

  1. die Behinderung bei Vollendung des 27. Lebensjahres bestanden hat oder bis zu dem sich nach § 32 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung ergebenden Zeitpunkt eingetreten ist, wenn die Waise sich in verzögerter Schul- oder Berufsausbildung befunden hat, und
  2. die Waise ledig oder verwitwet ist oder ihr Ehegatte oder früherer Ehegatte ihr keinen ausreichenden Unterhalt leisten kann oder dem Grunde nach nicht unterhaltspflichtig ist und sie nicht unterhält.”

http://www.gesetze-im-internet.de/svg/__59.html

Dieser Standard gilt nicht entsprechend für Kinder nichtverbeamteter Angestellter oder Arbeiter die diese Leistungen nicht über die Altersgrenze des 25. oder 27. Lebensjahres hinaus erhalten. Theoretisch wird diese Altersgrenze höchstens wegen einem FSJ, FÖJ, Zivildienst, etc. um die Dauer dieser Dienste hinausgezögert. Berufsgenossenschaften setzen ebenso meist die Grenze spätestens beim 27. Lebensjahr, ob es alle tun, ist ungewiss. Die Rechtsprechung hat diese Ungleichbehandlung als rechtmäßig bestätigt. Orientierungspunkt für diese weniger umfangreichen Regelungen ist SGB7 §67:

Zitat:
“(3) Halb- oder Vollwaisenrente wird gezahlt

  1. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres,
  2. bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
    1. sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder
    2. sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstabens c liegt, oder
    3. ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres leistet oder
    4. wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.”

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_7/__67.html

Die UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD)

Nun wird es also nach dem Hickhack um die nationale Übersetzung des UN-Konventionstextes auch in Deutschland und Österreich ernst. Die Schweiz hat die Konvention bisher nicht ratifiziert. Die EU hat die Konvention am 23.12.2010 ratifiziert.

Die UN-Konvention wird in Deutschland vor deutschen Gerichten einklagbares Recht. In der Praxis tun sich bezüglich der faktischen Umsetzung noch teilweise deutliche Widerstände auf. Z.B. bezüglich der Zwangsaussonderung auch von autistischen Kindern aus dem regulären Schulsystem in einigen deutschen Bundesländern. Dort sieht man sich z.B. nicht an ein Bundesgesetz gebunden, da Bildung in Deutschland Ländersache ist. Die Konvention wurde aber als Bundesgesetz ratifiziert.

Das EU-Parlament hat am 15.12.2010 beschlossen:

Zitat:
44. fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, die wichtigsten Menschenrechtsübereinkommen des Europarats und der Vereinten Nationen sowie die optionalen Zusatzprotokolle zu unterzeichnen und zu ratifizieren, d. h. unter anderem [...] und das VN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen; schlägt darüber hinaus vor, im europäischen Gesetzgebungsprozess in stärkerem Maße internationale Dokumente zu berücksichtigen und auf diese zu verweisen;

Quelle: Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2010 zu der Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2009) – wirksame Umsetzung nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon (2009/2161(INI)); Online: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-T...

Hier ein Link zur im Bundesgesetzblatt erschienenen Version: http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar61106-dbgbl.pdf

Da also absehbar ist, daß die Umsetzung in etlichen Fragen innerhalb der nächsten Jahre von Gerichten entschieden werden muß, wird diese Seite bei Bedarf schrittweise erweitert.

Link zur Deutschen Übersetzung von UN-Dok. A/HRC/22/53 vom 1. Februar 2013 (Einordnung von Methoden der Psychiatrie als verbotene Folter)

Berichts des Sonderberichterstatters über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, Juan E. Mendéz:

Link zum Dokument (extern)

Zusammenfassung:

Zitat:
Der vorliegende Bericht befasst sich mit bestimmten Formen des Missbrauchs in Gesundheitseinrichtungen, die unter Umständen eine Schwelle überschreiten, nach der Misshandlung zu Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe wird. Er zeigt die Grundsatzregelungen auf, die diese Praktiken begünstigen, und nennt bestehende Schutzlücken.

Durch seine Beschreibung einiger der missbräuchlichen Praktiken in Gesundheitseinrichtungen wirft der Bericht ein Licht auf oftmals unbemerkte Formen solcher Praktiken, zu denen es unter dem Dach der Gesundheitspolitik kommt, und stellt heraus, wie bestimmte Therapien dem Verbot der Folter und Misshandlung zuwiderlaufen können. Er stellt dar, in welchem Umfang die Staaten gehalten sind, Maßnahmen der Gesundheitsversorgung zu regulieren, zu kontrollieren und zu beaufsichtigen, um Misshandlungen zu verhüten, gleichviel, unter welchem Vorwand sie verübt werden.

Der Sonderberichterstatter prüft verschiedene der häufig gemeldeten Missbräuche in Gesundheitseinrichtungen und beschreibt, inwieweit das Rahmenwerk zu Folter und Misshandlung in diesem Kontext Anwendung findet. Die hier erörterten Beispiele von Folter und Misshandlung in Gesundheitseinrichtungen stellen wahrscheinlich nur einen kleinen Bruchteil dieses weltumspannenden Problems dar.

Charta für autistische Menschen

Zitat:
“Autistische Menschen sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten und ihrer Interessen die gleichen Rechte und Privilegien geniessen wie alle anderen Bürger der europäischen Länder auch.

Diese Rechte sollten durch die zuständige Gesetzgebung gestärkt, geschützt und durchgesetzt werden.

Die Deklarationen der Vereinten Nationen zu den Rechten geistig behinderter Menschen (1971) und den Rechten behinderter Menschen (1975) und andere in diesem Zusammenhang bedeutsame Deklarationen zu den Menschenrechten sollten berücksichtigt werden, und in Bezug auf autistische Menschen sollte insbesondere folgendes eingeschlossen sein:

  1. Das Recht autistischer Menschen auf ein unabhängiges Leben und auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
  2. Das Recht autistischer Menschen auf den Zugang zu einer unvoreingenommenen, genauen klinischen Diagnose und Beurteilung.
  3. Das Recht autistischer Menschen auf das Angebot und den Zugang zu einer angemessenen pädagogischen Betreuung.
  4. Das Recht autistischer Menschen (und ihrer Vertreter) auf Einbeziehung in alle Entscheidungen, die ihre Zukunft betreffen; die Wünsche des einzelnen müssen soweit wie möglich erkannt und respektiert werden.
  5. Das Recht autistischer Menschen auf ein ausreichendes Angebot angemessener Wohnmöglichkeiten.
  6. Das Recht autistischer Menschen auf die Ausstattung, die Hilfe und die unterstützenden Dienste, die sie benötigen, um ein vollkommen erfülltes Leben in Würde und Unabhängigkeit führen zu können.
  7. Das Recht autistischer Menschen auf ein Einkommen oder eine Entlohnung, die ausreicht, eine angemessene Verpflegung, Kleidung und Unterbringung und andere notwendige Dinge des Lebens zu finanzieren.
  8. Das Recht autistischer Menschen auf möglichst weitgehende Mitwirkung bei der Entwicklung und Organisation der Dienste, die zu ihrem Wohlbefinden beitragen sollen.
  9. Das Recht autistischer Menschen auf angemessene Beratung und Sorge für ihre körperliche, geistige und seelische Gesundheit; dies schliesst das Angebot einer angemessenen Behandlung und eine verantwortungsbewusste medikamentöse Versorgung zum Besten des einzelnen unter Beachtung aller Vorsichtsmassnahmen ein.
  10. Das Recht autistischer Menschen auf eine sinnvolle Beschäftigung und eine Berufsausbildung ohne Benachteiligung oder Vorurteil; Ausbildung und Berufstätigkeit sollten sich an den Fähigkeiten und den Neigungen des einzelnen orientieren.
  11. Das Recht autistischer Menschen auf Zugang zu allen Transportmöglichkeiten und auf Bewegungsfreiheit.
  12. Das Recht autistischer Menschen auf Teilnahme und Freude an kulturellen Angeboten, Unterhaltung, Erholung und Sport.
  13. Das Recht autistischer Menschen auf einen gleichberechtigten Zugang zu und eine gleichberechtigte Nutzung von allen Angeboten, Dienstleistungen und anderen Aktivitäten, die der Gemeinschaft zur Verfügung stehen.
  14. Das Recht autistischer Menschen auf Beziehungen - auch sexueller Art -, in denen sie weder ausgebeutet werden noch ihnen Gewalt angetan wird; zu diesem Recht gehört auch das Recht auf Eheschliessung.
  15. Das Recht autistischer Menschen (oder ihrer Vertreter) auf juristische Vertretung und Unterstützung und auf einen umfassenden gesetzlichen Schutz.
  16. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben in Freiheit ohne Furcht und ohne Bedrohung durch eine Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik oder eine andere geschlossene Anstalt.
  17. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben ohne körperliche Misshandlungen und Vernachlässigung.
  18. Das Recht autistischer Menschen auf ein Leben ohne missbräuchlichen Einsatz von Medikamenten.
  19. Das Recht autistischer Menschen (und ihrer Vertreter) auf Zugriff zu allen medizinischen, psychologischen, psychiatrischen oder pädagogischen Berichten, die persönliche Daten über sie enthalten.

Anlässlich des 4. Kongresses von Autismus-Europa in Den Haag am 10. Mai 1992 vorgestellt.

Angenommen durch das Europäische Parlament am 9. Mai 1996 in Form einer schriftlichen Erklärung.”

Quelle: http://www.autismesuisse.ch/files/charta.pdf